Die Blüte des Eukalyptus
wieder vor sich hin flüsterte: »Ich will nicht mehr leben.«
Wie, zum Teufel, konnte er sie bloß aus dieser schrecklichen Trauer herausholen? Zuerst versuchte er es auf die vernünftige Art, mit sanften Worten, doch es nutzte nichts. Schließlich ging er ein kalkuliertes Risiko ein.
»Du bist Mutter, oder etwa nicht? Willst du Gabriel im Stich lassen, so wie Jenny mich im Stich ließ? So wie dein gaujo dich im Stich ließ? Ich hätte nie gedacht, dass du den Schwanz einziehen würdest.«
Jake sah den Funken in ihren Augen. Eine Zeit lang erwiderte sie nichts, doch man konnte erkennen, dass sie nachdachte. Bis sie schließlich jene Worte sagte, nach denen er sich so verzweifelt sehnte.
»Du hast Recht. Gabriel wird mich am Leben halten.«
»Und ob! Der Kleine hat mehr Verstand im kleinen Finger als Gipps und die gesamte britische Regierung zusammen.«
Er half ihr aufstehen. »Los, komm. Da ist eine ganze Schulklasse, die auf dich wartet. Und vorher musst du Gabe noch Frühstück
machen. Ich selbst könnte übrigens ein ganzes Pferd verputzen. «
»Was?«
»Schon gut, ich weiß ja, dass ihr Zigeuner Pferde anbetet. Ich verspreche dir, dass ich niemals ein Pferd essen werde, so lange ich lebe. Recht so?«
Gabriel kletterte im Schlafanzug auf seinen Stuhl und blickte erwartungsvoll in seine leere Haferflockenschale.
Mit geröteten Augen nahm Keziah ihre Rolle als Mutter wieder auf. »Hast du nicht etwas vergessen, Gabriel? Zuerst wasch dir Hände und Gesicht. Und dann?«
»Danke ich Del für mein tägliches Brot«, antwortete er und lief barfuß zur großen Wasserschüssel, um sich zu waschen.
»Netter Junge«, sagte Jake. »Und die Mutter ist auch nicht übel.«
Er beobachtete, wie Keziah langsam zur Pferdekoppel ging. Er ahnte, was sie vorhatte.
Keziah rieb ihr Gesicht an Sarishans Nase und redete in ihrer Roma-Sprache mit ihm. Jake verstand nicht, was sie sagte, aber er konnte es sich denken. Keziah vertraute Gems Pferd ihre Liebe und Trauer an und fand Trost bei ihm.
Sie wusste nicht, dass es nur eine Hälfte dessen war, was Gem Jake hinterlassen hatte. Und er wusste, dass die Zeit noch nicht gekommen war, um ihr von der zweiten zu berichten. Vielleicht würde sie nie kommen.
SECHSUNDDREISSIG
N achdem sie von Gems Tod erfahren hatte, bewegte sich Keziah monatelang wie eine Schauspielerin durchs Leben, in einem Stück, dessen Handlung sie nur Seite für Seite erfuhr. Trotzdem konzentrierte sie sich auf die Bedürfnisse ihrer kleinen Familie und der Schulkinder, bis sie abends, erschöpft von der Anstrengung, nach außen fröhlich und normal zu wirken, endlich einschlief.
Jake hatte regelmäßig vorbeigeschaut, um nach ihr zu sehen, während sich Daniels Aufenthalt in Bolthole Valley in die Länge zog. Gilbert Evans hatte ihn beauftragt, eine Aula für die Sonntagsschule zu bauen. Wenn Jake unterwegs war, bat er Dr. Ross, dafür zu sorgen, dass es ihr an nichts fehlte. Aus der professionellen Art, mit der er sie behandelte, schloss Keziah, dass er sich fragte, ob sie vielleicht an Melancholie litt.
Doch wie sollte sie dem braven Doc erzählen, dass sie um einen berühmten Buschräuber trauerte, mit dem sie vor langer Zeit verheiratet gewesen war? Sie musste den Schein wahren; sie war Saranna Browne. In Jakes Abwesenheit ahnte nur Nerida den wirklichen Grund für ihre Niedergeschlagenheit.
Die Erinnerung an Gem ließ sie nicht los, der Herbst kam und ging, ohne die Dürre zu vertreiben, Frühling und Sommer aber brachten ihr nach und nach neue Lebensenergie. Und dann endlich kam der Tag, an dem Keziah das Gefühl hatte, auf einem Gipfel zu stehen und sehen zu können, was auf der anderen Seite lag. Die Zukunft.
Sie stellte das schwere Bügeleisen auf den Herd und las noch einmal den letzten Brief, den Daniel ihr geschrieben hatte.
Ich verspreche Dir, dass ich zu Joseph Blooms Feier wieder zuhause bin. Übrigens hat Julian Jonstone angeboten, mir das Kunststudium in Sydney Town zu finanzieren. Sehr großzügig von ihm, aber ich würde Gabriel und Dich natürlich niemals im Stich lassen .
Trotzdem las Keziah zwischen den Zeilen seine Sehnsucht, das Angebot anzunehmen. Es war die Chance seines Lebens.
Sie wusste, was sie ihm sagen musste, wenn er zurückkehrte. Sie sprach die Worte laut aus, um sicherzugehen, dass sie sich aufrichtig anhörten. »Es wird Zeit, deiner Geliebten zu folgen, Daniel.« Ja, es stimmte.
Als das Eisen heiß genug war, um das neue Kleid zu bügeln, das sie während der
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