Die Blüte des Eukalyptus

abzuwenden, zupfte sie an dem Ausschnitt, um ihn zu vergrößern, und stützte die Ellbogen auf die niedrige Steinmauer, die sie voneinander trennte. Die obere Kurve ihrer Brüste war im Mondlicht so klar, dass Daniel das Schönheitsmal sah, das die Natur ihr an die denkbar verführerischste Stelle gesetzt hatte.
    »Gefällt dir mein Kleid? Es kommt aus Frankreich«, sagte sie.
    »Nur halb so sehr wie die Frau, die …« Er verstummte, erschrocken über seine Dreistigkeit.
    »Die Frau, die es trägt?« Ihr Lachen war ansteckend. »Liebe Güte, wie galant!«
    Daniel lächelte trotz seiner Nervosität. Zwischen ihnen lag ein sicherer Abstand, aber er hatte den Verdacht, dass sie den ungewohnten Flirt mit einem Fremden genoss. Ob sie ahnte, dass er ein Strafgefangener war?
    Sie hob einen Apfel auf, der auf ihre Seite der Mauer gefallen war, und spielte damit wie ein Kind mit einem Ball. Ihre Stimme erinnerte an das Schnurren einer Katze.
    »Magst du verbotene Früchte? Der Apfel, den Eva Adam anbot, war wie der hier.«
    Die Anspielung war unmissverständlich, und Daniel witterte die Gefahr. »Bitte, Ma’am, Sie sollten wieder reingehen. Ich muss in meine Hütte zurück.«
    »Bist du etwa kein freier Mann, Daniel Browne?«
    Daniel wollte weglaufen, doch er hatte Angst, sie zu kränken.
    »Ich bin Master Jonstone zugeteilt, Ma’am«, gestand er.
    » Oh, là, là! Ein Strafgefangener. Darauf wäre ich nie gekommen. Du hast ein hübsches Gesicht. Und drückst dich aus wie ein
Gentleman.« Sie kicherte. »Was hast du denn angestellt, dass es dich hierher verschlagen hat?«
    »Ich bin unschuldig, Ma’am«, sagte Daniel hastig. Er hatte es schon so oft wiederholt, dass er hoffte, es eines Tages selbst zu glauben.
    »Du bist ja rot geworden, Daniel, wie süß«, zog sie ihn auf.
    »Bitte verzeihen Sie, meine Dame, aber ich muss jetzt wirklich gehen!«
    Als ein Gentleman auf die Terrasse heraustrat, blieb Daniel beinahe vor Schreck das Herz stehen. Julian Jonstone! In seiner Panik sprang er von dem Baum herunter und verschwand im Busch. Und als er einen Blick zurückwarf, sah er, wie die junge Frau sich bei Jonstone einhakte und ihren Gastgeber ansah wie einen Ritter, der zu ihrer Rettung geeilt war.
    »Wie dumm von mir, Julian. War ich etwa in Gefahr, was meinst du?«
    Daniel war außer Atem, als er sich in der Dunkelheit auf seine Pritsche warf. Hellwach lag er da und ließ jede Einzelheit des Abends noch einmal Revue passieren, jede Kurve ihres Körpers, jeden Winkel ihres vollkommenen Gesichts. Hätte er nur Farben und Pinsel, um sie zu verewigen. Eine namenlose Frau mit dem Gesicht eines frechen Engels und dem Körper der schönen Helena. Männer würden ihr Leben und ihr Königreich aufs Spiel setzen, um sie zu besitzen.
    Daniel war verwirrt. Obwohl sie ihn körperlich nicht reizte, war sie derart aufregend, dass er es insgeheim kaum erwarten konnte, ihre Schönheit für die Nachwelt festzuhalten.

    Die Morgendämmerung brachte wie immer Veränderungen, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Daniel wurde zu einer abgelegenen Weide geschickt, um dort Baumstümpfe auszugraben.
    Eukalyptusbäume. Verdammt zäh. Das Pech ist mir treu. Ich kann nur hoffen, dass die anderen kräftig genug sind, um die schweren Dinger herauszuziehen .

    Der Teufel in Person ritt auf seinem Paradehengst vorbei und drohte ihm mit dem Finger.
    »Damit du lernst, deinen Herren nicht hinterherzuspionieren, Daniel Browne. Der Master hat nichts für freche Strafgefangene übrig, die seine reizenden Ehrengäste erschrecken!«
    »Ich würde einer Dame niemals etwas antun, Sir. Und wenn ich sie erschreckt haben sollte, so tut es mir sehr leid.«
    Daniel erwartete, dass seine Verteidigung auf Verachtung stieß. Wieso lächelte der Aufseher dann?
    »Ich glaube dir, Daniel. Damen von Rang sind nicht nach deinem Geschmack, nicht wahr?«
    Der Teufel in Person lachte kurz auf, und Daniel war verwirrt. Andere Strafgefangene waren für weit geringere Verstöße ausgepeitscht worden. Warum war er so nachsichtig mit ihm?
    Der Aufseher hatte das Gesicht abgewandt, als er plötzlich beiläufig fragte: »Du bist doch mit einem gewissen Maynard Plews hierher gebracht worden, stimmt’s? Warst du nicht sein Komplize? «
    Daniel lief rot an und antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Ich war unschuldig, Sir.«
    »Natürlich, das seid ihr ja alle! Trotzdem, vielleicht interessiert es dich. Plews war den Kalkbrennöfen von Newcastle zugeteilt worden. Aber offenbar