Die Blüte des Eukalyptus
missbilligend.
»Mit solchem Hokuspokus will ich nichts zu tun haben, vielen Dank!«
Keziah überließ ihn seinem Flachmann und kochte in dem zerbeulten Teekessel einen Aufguss aus Johanniskraut. Sie blies darauf, damit er etwas abkühlte, und hielt ihn an Jakes Lippen.
»Trinken Sie. Es wird Ihren Schmerz lindern. Und Sie können etwas schlafen.«
»Jesses!«, schrie er, als ihn eine neue Welle von Schmerz durchfuhr, doch er schien ihr zu vertrauen, denn er trank alles aus. Innerhalb weniger Minuten verriet ihr sein regelmäßiger Atem, dass er eingeschlafen war.
In der Nacht wurde es abseits des Lagerfeuers bitterkalt. Jakes Körper zitterte, offensichtlich stand er unter Schock, der Schlaf nahm ihm jedoch wenigstens die Schmerzen.
Nur wenige Meter entfernt lag Saranna im Sterben, hilflos, allein. Keziah kämpfte gegen ihre Angst an und rief sich die Worte ihrer Großmutter ins Gedächtnis. Eine Heilerin darf nie jemanden im Stich lassen, der sie braucht.
»Ich wache bei ihr, Doktor«, bot sie an, da sie eingesehen hatte, dass von ihm keine weitere Hilfe zu erwarten war. Der arme Mann hatte offensichtlich selbst eine Gehirnerschütterung davongetragen, doch als er sich an einen Baum lehnte, sah sie das
Aufblitzen seines silbernen Flachmanns im Schein der Flammen. Man hätte den Whisky besser dazu verwenden können, Jakes Schmerzen zu lindern, aber Keziah wusste, dass der Doktor ihn niemals hergeben würde.
Es kam Keziah vor wie eine Ewigkeit, dass sie über Saranna wachte, versuchte, die kalten Hände der jungen Frau zwischen ihren eigenen zu wärmen und leise vor sich hin flüsterte, um die Angst vor dem Tod zu verscheuchen.
»Es tut mir leid, dass wir so lange brauchten, um Freundinnen zu werden, Saranna. Sie sind ein guter Mensch – besonders für einen gaujo .« Zu ihrem Staunen flackerten Sarannas Lider auf, und die blauen Augen richteten sich auf sie.
»Es war meine Schuld. Sie haben ein gutes Herz, Mrs. Smith.« Saranna stöhnte und wirkte furchtsam. »Ist es noch sehr weit nach Ironbark? Ich werde dort erwartet. Ich brauche diese Arbeit sehr dringend.«
Keziah beruhigte sie hastig. »Es ist überhaupt nicht mehr weit. Und bald wird es hell. Dann bringen wir Sie nach Ironbark. Ich verspreche es Ihnen!«
Sarannas Augen schienen eine andere Dimension zu suchen.
»Ich habe meinem … Liebsten versprochen, ihm zu folgen.« In einem wachen Moment griff sie erstaunlich fest nach Keziahs Hand.
»Wenn ich nur in die Zukunft sehen könnte. Werde ich meinen Liebsten heiraten? Und Kinder haben? Was meinen Sie?«
Keziah spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. »Ja, ich habe das Zweite Gesicht. Ich kann Sie sehen, an Ihrem Hochzeitstag in einer Kirche im Busch – Sie sind eine wunderschöne Braut und tragen die Kamee-Brosche Ihrer Mutter. Sie werden eine lange, glückliche Ehe führen. Ich sehe, wie Ihr Mann einen blonden Jungen in den Armen hält.« Ihre Stimme war so fest, dass ihre Lügen völlig überzeugend klangen. »Glauben Sie mir, ich irre mich nie.«
»Danke«, sagte Saranna beruhigt und lächelte. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Ja, natürlich. Was soll ich machen?«
»Sagen Sie meinem Liebsten, dass meine … letzten Gedanken ihm galten. Sagen Sie ihm, dass er für seine … Geliebte weiterleben soll.«
Keziah wunderte sich über diese seltsame Bitte, doch sie versprach es ihr. »Sie werden es ihm selbst sagen können. Wie heißt er?«
Saranna stieß einen langen, friedlichen Seufzer aus und schloss die Augen. Da wusste Keziah, dass es ihr letzter Atemzug gewesen war.
»Doktor!«, rief sie.
Dr. O’Flaherty stolperte zu ihnen herüber. Erneut fühlte er den Puls der jungen Frau und schüttelte dann traurig den Kopf. »Die Kleine ist tot«, sagte er und torkelte in die Dunkelheit davon.
Als Keziah mit Sarannas Leiche allein war, begann sie, heftig zu zittern.
Als sie versuchte, ein Vaterunser für Sarannas Seelenheil zu beten, brachte sie den englischen Text durcheinander und beendete das Gebet auf Roma. Sie nestelte zwei Münzen – Caleb Morgans Geld – aus dem Saum ihres Rocks, legte sie Saranna auf die Augenlider und deckte anschließend ihr Gesicht mit ihrem blutbefleckten Schal zu. Ihre tief verwurzelte Angst vor dem unnatürlichen Zustand des Todes wurde von dem australischen Busch und seinen ungewohnten Anblicken und Geräuschen noch verstärkt. Seltsame Sterne zogen hinter den riesigen Bäumen vorbei, die einen vollen Blick auf den Himmel versperrten. Sie hörte
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