Die Blüte des Eukalyptus
sie in der Tasche ihres blauen Umhangs einen Umschlag und las die Adresse: »An George Hobson Esquire, Ironbark Farm.« Das muss ihr Arbeitgeber sein. Jetzt werde ich selbst diese Arbeit brauchen .
Sie versuchte, sich einzureden, dass man Saranna unter dem Namen von Keziah Smith begraben würde. Sie waren fast gleich groß, hatten dieselbe Haar- und Augenfarbe, nur war Saranna etwas schlanker als sie. Doch wem würde das auffallen, wenn sie doch Keziahs Roma-Kleidung, Trauring und Tarotkarten bei ihr fanden? Jake Andersen hätte niemand etwas vormachen können, aber der war nicht in der Lage, irgendwen zu identifizieren – nicht mal sich selbst.
Die Chancen standen nicht schlecht, dass im Chaos der Rettungsaktion die einzige Person, die sie identifizieren könnte, Dr. O’Flaherty, von seiner Gehirnerschütterung und dem vielen Alkohol derart benebelt wäre, dass er Sarannas Leiche als die der Witwe Smith deklarierte, ehe er nach Melbourne Town weiterreiste.
Caleb Morgans Spione würden bei ihren Nachforschungen auf das Grab der Zigeunerin Keziah Smith stoßen und aufgeben. Und dann könnte sie in Ironbark als Saranna Plews leben, ohne Angst, entdeckt zu werden.
Aber was war mit dem Kind? Diesen unangenehmen Gedanken vertrieb sie hastig. Darüber würde sie morgen nachdenken.
Keziah fand die Kiste, in der Jake die Zutaten für den Tee aufbewahrte. Sie presste eine Hand voll Zucker in die Achselhöhlen, damit er ihren Geruch aufnahm. Dann fütterte sie den Fuchs damit,
um ihn an sich zu gewöhnen, so wie ihr Vater Gabriel es ihr beigebracht hatte.
Schließlich lud sie dem Tier Sarannas Koffer auf, mit dem Rücken zur Leiche, aus Angst vor ihrem mulo . O’Flaherty schnarchte noch. Jake Andersen war bewusstlos. Mit dem rotgoldenen Haar, das ihm über die Stirn fiel, sah er aus wie ein schlafender Junge.
»Es tut mir leid, dass ich dich so zurücklassen muss, Jake«, flüsterte sie. »Das Schicksal hat uns getrennte Wege bestimmt.« Mit einem letzten Blick vergewisserte sie sich, dass alles ruhig war, dann führte sie den Fuchs in den Busch hinein, auf der Suche nach einer weniger steilen Stelle am Hang, um wieder auf die Straße zu gelangen.
Während sie auf dem ungesattelten Tier über die verlassene Straße zum Shamrock and Thistle Inn zurückritt, sprach sie leise mit dem Fuchs, um ihn zu beruhigen. »Ich weiß, wie schlecht du dich fühlst, aber der Unfall war nicht dein Fehler. Und auch nicht der von Jake Andersen. Wenn sich der arme alte Dr. O’Flaherty nicht so betrunken hätte, wäre nichts von alldem passiert. Sieh es so, mein Junge. Es ist ein herrlicher Tag, und wir beide haben Glück, dass wir noch am Leben sind. Aber jetzt müssen wir uns beeilen und Hilfe für die anderen holen.«
Sie schaute zum Himmel auf. Offensichtlich hatte der herrliche Tag seine Meinung geändert. Urplötzlich ballte sich am Himmel ein Gewitter zusammen. Innerhalb von Sekunden war sie bis auf die Haut durchnässt. Als in der Ferne das Gasthaus in Sicht kam, stieg sie vom Pferd, kramte Sarannas blauen Umhang aus ihrem Koffer und warf ihn sich über die Schultern. Es regnete immer noch, als sie das Pferd mit einer Schärpe an der Brüstung vor der Herberge festzurrte.
Es war ein erster Test. Würde sie die neue Rolle überzeugend spielen können? Sie waren noch vor einem Tag hier gewesen, also war es sehr wichtig, dass sie wie Saranna Plews aussah und sprach, und sie musste gleichzeitig vermeiden, dass der Wirt Fingal Mulley, der sie beide gesehen hatte, sie allzu genau ansah. Sie zog die
blaue Kapuze tief ins Gesicht und stürzte in den Saloon. Selbst zu dieser frühen Morgenstunde hockten ein paar hartgesottene Säufer vor dem Tresen. Keziah schaute sich auf der Suche nach jemandem um, der halbwegs verantwortlich aussah.
Und dann fand sie ihn. Einen kräftigen, jungen Mann mit einem struppigen, wild abstehenden Bart. Er erinnerte sie an den Gott Neptun. Als er sie erblickte, sprang er nervös auf und zog den Hut.
Keziah stellte sich als Miss Plews vor und bat ihn, den Überlebenden zu Hilfe zu kommen. Sie hoffte, Sarannas gebildete Ausdrucksweise überzeugend nachgeahmt zu haben.
»Ein Passagier ist tot. Mrs. Keziah Smith. Ein irischer Arzt steht unter Schock und hat eine schwere Gehirnerschütterung, aber am schwersten verletzt ist unser Kutscher, Jake Andersen. Sein Bein ist gebrochen, und er hat große Schmerzen.«
»Jake Andersen? Das ist mein bester Freund! Ich kümmere mich darum, Miss, seien Sie
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