Die Blüte des Eukalyptus
beherrscht. Keziah saß in ihrem Zelt und versuchte, im Schein einer Petroleumlampe eine Fibel zu lesen. Die Zeltwand bebte, die Bäume raschelten im Wind. Schatten huschten über das Zeltdach, als draußen krachend ein Ast herabstürzte. Es war so laut wie ein Schuss.
Um ihre Angst zu beherrschen und das Böse zu verscheuchen, ging Keziah mit der Laterne im Kreis um das Zelt und sang ein altes Roma-Lied. Als sie eine Gestalt im Busch zu entdecken glaubte, verstummte sie. Hatte die Phantasie ihrer Angst eine Gestalt gegeben?
Dann sah sie einen Reiter auf einem Pferd, das Gesicht im Dunklen verborgen. Sie hörte das leise Klirren von Metall. Voller Panik richtete sie die Lampe in diese Richtung, doch die Gestalt war verschwunden.
War es der Fremde gewesen, der sie hatte vergewaltigen wollen? Ein Spion, den Caleb Morgan geschickt hatte? War Sarannas mulo zurückgekehrt, um sie zu verfolgen? Oder war es Gem, der trotz der Gefahr riskiert hatte, sie zu sehen?
Keziah untersuchte den Boden, wo der Reiter aufgetaucht war. Mulos hinterließen keine Spuren. Verzweifelt suchte sie zwischen den gefallenen Blättern und Ästen.
Keine Hufspuren.
SIEBZEHN
D er unheilvolle Klang der Triangel riss Daniel Browne aus dem Schlaf, doch er wusste sofort, dass es nicht der übliche Aufruf zur Arbeit war. Heute musste er wieder einmal an der Auspeitschung eines entlaufenen Strafgefangenen teilnehmen, der nach Gideon Park zurückgebracht worden war. So kurz vor Weihnachten wollte man sich den Papierkram ersparen, der nötig gewesen wäre, um ihn vor ein Gericht zu stellen.
Daniel wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um die Reste eines Albtraums zu verscheuchen, in dem er als Strafgefangener ausgepeitscht werden sollte. Obwohl er bislang um diese Realität herumgekommen war, zermürbten ihn die schrecklichen Träume.
Fast zwei Monate waren vergangen, seit der quälende Hunger Daniel dazu getrieben hatte, mit Will aus Gideon Park auszureißen und sich der Bande des Einäugigen anzuschließen. Als er sich an seinen ersten und einzigen Auftritt als Buschräuber erinnerte, wand er sich innerlich vor Scham. Es war ein Fiasko gewesen, bei dem er komplett versagt hatte. Der Augenblick, als der Einäugige ihm befohlen hatte, den Kutscher zu erschießen, verfolgte ihn immer noch. Daniel würde den Ausdruck in den Augen des jungen Einheimischen niemals vergessen. Furchtlos. Und das war Daniels Augenblick der Wahrheit gewesen. Er konnte niemanden töten, egal welche Hölle ihm in Gideon Park noch bevorstand. Also hatte er sich von Will getrennt und war einige Stunden darauf wie ein geprügelter Dingo mit eingezogenem Schwanz nach Gideon Park zurückgekehrt, in der Hoffnung, dass der Teufel in Person seine nächtliche Eskapade nicht bemerkt hatte.
Seit Julian Jonstone nach Sydney Town abgereist war, waren Auspeitschungen in Gideon Park an der Tagesordnung. Daniel hatte gelernt, nicht mit der Wimper zu zucken, wenn die Peitsche das Fleisch eines Gefangenen zerfetzte, doch als er sich heute hinter den Reihen der Sträflinge aufstellte, erstarrte er vor Schreck, als er den Gefangenen erkannte, der an den Pfahl gefesselt war. Will Martens. Daniel wappnete sich gegen das, was jetzt vielleicht käme. Der Junge war ein Dummkopf gewesen, die Freiheit über das Leben zu stellen. Er zwang sich, Will ins Gesicht zu sehen, und versuchte, die Wahrheit zu erkennen. Will schrie immer wie ein kleines Kind, wenn er ausgepeitscht wurde. Würde er jetzt zusammenbrechen und ihn verraten?
Der Folterknecht ließ demonstrativ die Muskeln spielen und überprüfte die Reißfestigkeit der Riemen an der Peitsche. Wills Beine zitterten, doch als er Daniel sah, zwinkerte er ihm kumpelhaft zu.
Sobald der Aufseher auf seinem pechschwarzen Hengst auftauchte, verließ Daniel jeglicher Mut. Er drängte sich durch die Menschenmenge und schlug sich in den Busch.
Aus schierer Angst musste er sich übergeben. Dann lief er weiter und versteckte sich hinter dem Geräteschuppen. Er hielt sich die Ohren zu, um Wills schrilles Geschrei nicht mit anhören zu müssen; sein Kopf war voller Erinnerungen an blutüberströmte Rücken und zerfetztes Fleisch. Die unnatürliche Stille jedoch, die dann folgte, war noch schlimmer als das Geschrei. War Will ohnmächtig oder tot?
Daniel kauerte in seinem Versteck und wartete darauf, dass die Männer wieder an die Arbeit gingen, damit auch er an seinen Platz zurückkehren konnte. Aber dann sah er den Aufseher auf sich zukommen, in der Hand
Weitere Kostenlose Bücher