Die Blueten der Freiheit
Mädchen geschehen? Mit den älteren Mädchen, die bereits Spitze hergestellt und Aufträge abgearbeitet hatten, als wir gerade damit begonnen hatten? Und wie konnte es sein, dass alle Mädchen, die vor uns gekommen waren, verschwunden waren?
Wohin waren sie verschwunden?
Ich hatte das Gefühl, dass sich hinter meinen wirren Gedanken ein Muster verbarg. Ich musste bloß warten und beobachten, und dann würde ich herausfinden, was es war.
Dennoch änderte das nichts an Mathild und ihrer Bitte.
Sie wusste nicht mehr weiter.
Wenn ich ihre Fäden mit den Händen erfühlen konnte, dann konnte ich ihr vielleicht helfen.
Ich lehnte mich gegen ihren Ellbogen.
Ich hörte, wie sie tief Luft holte.
Ich klopfte mit der Hand auf die Bank zwischen uns.
Sie legte ihre Hand auf meine.
Ich griff danach und zog sie auf mein Kissen, während ich mit der anderen Hand nach ihrem Kissen griff. Ich bemühte mich, mich nicht zu strecken und aufrecht zu sitzen. Ich versuchte, meine Schultern und meinen Kopf vollkommen ruhig zu halten. Ich betete, dass sie ebenso vorsichtig sein würde wie ich.
Ich saß einige Augenblicke mit ihrem Kissen auf meinem Schoß da und wartete darauf, bestraft zu werden. Doch dann hörte ich, wie die Schwester begann, den jüngeren Kindern ein Lied vorzusingen, und ich wusste, dass wir unentdeckt bleiben würden.
Mathild musste es ebenfalls bemerkt haben, denn sie seufzte.
Ich beugte mich über ihr Kissen, so dass die Stecknadeln meine Nase berührten. Ich versuchte zu ertasten, wo sie steckengeblieben war. Das Muster glich meinem eigenen, auch wenn es weniger weitläufig war. Es schien, als ob … nee. Ich drehte das Kissen auf die andere Seite. Begann noch einmal von vorne. Es schien, als sei sie mitten in einem … Blatt … steckengeblieben. Oder war es ein Blütenblatt? Ich ließ meine Hand über die Spitze gleiten. Ich spürte das Muster, das der Faden bildete. Sie war mitten in einem Blütenblatt steckengeblieben. Und es schien, als ob … Ich fuhr über die Maschen, die sie bereits vollendet hatte. Und dann drückte ich mich gegen ihren Ellbogen.
Sie griff in meinen Schoß, doch ihre Hand fand das Kissen nicht.
Schnell ergriff ich ihre Finger und legte sie auf ihre Arbeit.
Sie nahm mir ihr Kissen ab, während ich nach meinem griff. »Du bist …« Ich hielt inne. Meine Stimme klang kratzig und rauh. Ich versuchte es noch einmal. »… mitten in einem Blütenblatt. Fünf Maschen. Und dann eine Wendung.«
Falls sie mir dankte, dann hörte ich es nicht. Doch wenn ich es nicht hören konnte, dann konnte es die Schwester wohl ebenfalls nicht.
Kapitel 9
Heilwich Martens
Kortrijk, Flandern
A m Mittwoch kam ich zu spät zu Herry Stuer. Hätte ich es nicht ohnehin schon geahnt, hätte es mir die Art, wie seine Pritsche nach abgestandenem Urin roch, verraten. Ich sah das Mädchen, das sich um ihn kümmerte, böse an. »Du könntest das Stroh ruhig ab und zu wechseln.«
Sie stolzierte zur Tür. »Damit meine Hände stinken?« Sie raffte ihren Rock zusammen, dann war sie verschwunden.
Sie hieß Marguerite. Und der einzige Grund, warum ich ihr nicht meine Meinung sagte, war, dass unser gelobter Herr sich einst für Frauen wie sie eingesetzt hatte.
Hure.
Ich zog und zerrte an Herry und schaffte es schließlich, ihn zur Seite zu rollen. Dann warf ich das stinkende Stroh zur Tür hinaus. Ich ließ es dort liegen, damit Marguerite hindurchwaten musste, wenn sie schließlich wiederkam.
»Wenn sie schon ein paar Münzen dafür bekommt, dass sie sich um dich kümmert, dann sollte sie sich – verzeih mir meine Aufrichtigkeit – wenigstens an dich erinnern, solange du noch lebst.«
Er sagte nichts. Er hatte nicht mehr gesprochen, seit er an jenem Abend vor etwa einem Monat in einem der Zimmer über dem Dorfgasthaus einen Schlaganfall erlitten hatte. Er hatte gerade in den Armen der jungen Marie gelegen. Der alte Herry hatte immer schon etwas für hübsche Mädchen übriggehabt. Vor etwa fünfzehn Jahren war er auch eine Zeitlang hinter mir her gewesen. Und dem zufolge, was ich gesehen hatte, seit ich mich um ihn kümmerte, tat es mir leid, dass ich nicht entgegenkommender gewesen war.
Ich zog das Laken von Marguerites Bett und nahm die Hälfte ihres Strohs, um ein neues Bett für Herry aufzuschütten.
»Das mindeste, was sie tun kann, ist, etwas mit dir zu teilen, das ohnehin dir gehört.«
Ich rollte ihn auf das saubere Lager. Er blinzelte.
Er hatte freundliche Augen. Seine Augen waren
Weitere Kostenlose Bücher