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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Anthony
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hinauswerfen.«
    » Nee. Das werden sie nicht.«
    »Doch, das werden sie. Es ist bereits geschehen. Ich habe gesehen, wie viele von euch armen Spitzenmacherinnen hier in der Stadt herumlungern und … böse Dinge treiben, Katharina. Böse Dinge. Dinge, die unverzeihlich sind.«
    »Welche Spitzenmacherinnen?«
    »Welche? Alle! Was glaubst du denn, wird mit dir passieren, wenn du nicht mehr länger arbeiten kannst? Wenn du nicht mehr gut genug siehst, um einen Faden durch die Nadeln zu ziehen?«
    »Spulen.«
    »Nadeln, Spulen. Das ist doch egal. Und ihnen ist es auch egal. Du bist ihnen egal!«
    »Das bin ich nicht. Ich bin die beste Spitzenmacherin, die sie haben.«
    »Und ihre beste Spitzenmacherin ist mittlerweile beinahe blind. Siehst du denn nicht, dass die Arbeit dich zerstört?«
    »Das ist nicht wahr.« Es konnte nicht wahr sein. Wie konnte mich etwas zerstören, das ich so sehr liebte?
    »Ich werde mit der Mutter Oberin sprechen. Heute noch. Und dann werden wir sehen, ob ich dich bis zum Sonntag rausholen kann.«
    » Nee! Bitte. Bitte. Lass mich bloß … lass mich bloß diese eine Spitze zu Ende bringen. Drei Wochen. Bitte.« Und vielleicht hatte sie ihre Drohung bis dahin vergessen.
    »Nun … glaubst du nicht, dass sie etwas bemerken werden?«
    »Sie haben bis jetzt auch noch nichts bemerkt.«
    »Dann also … fort mit dir. Bevor sie noch nachsehen kommen.«
    »Danke.«
    »Wir sehen uns nächste Woche. Und ich werde die Nonnen in drei Wochen noch einmal fragen. Zumindest kann ich so noch mehr Geld sparen.«
    Ich wandte mich von der Wand ab und ging fort. Dann wusch ich ein weiteres Mal meine Hände und stieg die Treppe empor. Doch als ich dieses Mal meine Arbeit wieder aufnahm, bereitete mir der Tanz der Spulen keine Freude mehr. Es war bloß eine Verpflichtung. Ein langweiliger, immer wiederkehrender Arbeitsablauf. Blütenblatt um Blütenblatt, Blume um Blume, Schnörkel um Schnörkel. Der Spitze haftete nichts Magisches mehr an. Ihr Muster erzählte keine Geschichte mehr. Es war bloß ein Faden.
    Ein meterlanger, endloser Faden.

    Der nächste Morgen begann in etwa wie der vorangegangene. Wir versammelten uns nach dem Frühstück, wuschen uns die Hände und wurden begutachtet. Wieder musste uns Mathild verlassen und wurde in die Krankenstation geschickt. Ein unbehagliches Gefühl überkam uns.
    Noch einmal. Vielleicht auch zweimal. Wie lange würde es dauern, bis auch sie für immer verschwand?
    Wir bildeten eine Gruppe und machten uns auf den Weg in die Werkstatt.
    Es war gerade der halbe Vormittag vergangen, als Mathild auftauchte. Sie setzte sich neben mich und begann mit ihrer Arbeit.
    »Ich weiß nicht mehr weiter.«
    Es war ein Flüstern. Ein Flüstern, das nicht von der Schwester kam, und das machte es so außergewöhnlich. Ich wusste zunächst nicht, woher es gekommen war. Ich hob den Blick und sah mich um.
    Da spürte ich einen leichten Druck auf meinem Ellbogen. »Hilf mir.«
    Ich arbeitete weiter und überlegte, was ich tun sollte. Mathilds Hände bewegten sich. Ich sah ihre verschwommenen Umrisse, und ich hörte ihre Spulen. Wenn ich ihr half, wenn ich mit ihr sprach, dann würde ich den Zorn der Schwester auf mich ziehen.
    Und mein Rücken und mein Hinterteil würden den Preis dafür zahlen.
    Beim Gedanken daran begann ich zu zittern.
    »Bitte.«
    Sie arbeitete. Ich hörte doch, dass sie arbeitete. Wie konnte es also sein, dass sie nicht mehr weiterwusste? Und wenn sie tatsächlich nicht mehr weiterwusste, wenn sie Hilfe brauchte, warum wandte sie sich dann nicht an die Schwester?
    Nee. Es brachte nichts, ihrer Bitte nachzukommen.
    Doch dann drang ihre Stimme ein weiteres Mal in meine Gedanken ein.
    »Hilf mir.«
    Ihre Stimme hallte in meinem Kopf wider, ihre Worte bildeten ein Muster.
    Ich weiß nicht mehr weiter.
    Hilf mir.
    Hilf.
    Bitte.
    Die Worte bildeten ein Muster. Eine Spitze, die zerrissen und nicht vollkommen sein würde. Die niemand tragen würde.
    Aber … wie konnte es sein, dass sie nicht mehr weiterwusste?
    Ich war zusammen mit Mathild ins Kloster gekommen. Zusammen mit Mathild hatte ich die Muster auf den Knien der Schwester erlernt. Mathild und ich schliefen nebeneinander, wir hatten unsere Pritschen zusammengeschoben, damit es wärmer war. Mathild und ich waren die besten – die ältesten – Mädchen in der Werkstatt.
    Und dann begann ich plötzlich nachzudenken.
    Wohin war Elizabeth tatsächlich verschwunden? Und Jacquemine? Und Beatrix? Was war mit all diesen

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