Die Blueten der Freiheit
heute im Château Eronville, dem Anwesen des Marquis, ankommen.«
Sie nickte, obwohl sie mich immer noch überaus misstrauisch ansah.
»Meine Stiefmutter erwartet ein Kind. Es wird bald zur Welt kommen. Bis dein Vater die Spitze besorgt hat, wirst du der Marquise Gesellschaft leisten. Sie kann durchaus nett sein …« Wenn sie nicht gerade versuchte, mich zu enterben. »Ich bin mir sicher, dass du ihre Gesellschaft unterhaltsam finden wirst.«
Das Mädchen ließ sich in die Kissen zurücksinken, ihre Schultern schienen einiges an Anspannung zu verlieren.
»Wenn du mich zufriedenstellst, dann sehe ich keinen Grund dafür, warum du den Chevalier von Fontenay ebenfalls zufriedenstellen müsstest.« Ich hatte Remys Launen und die Tatsache, dass Frauen ihn faszinierten, nicht unter Kontrolle, doch wenn ich ihm von Zeit zu Zeit gestattete, seinem Verlangen nachzugeben, dann blieb er mir ein mehr oder weniger treuer Gefährte. Solange ich nicht bei seinen Spielchen zusehen musste, hatte ich mir darüber bisher keine allzu großen Gedanken gemacht. Doch nun musste ich ständig an unsere Zeit in Paris denken, und ich wurde einfach das Gefühl nicht los, dass er mir nicht mehr länger ergeben war.
Das Mädchen riss die Augen auf und blinzelte, während alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Ihr Blick schnellte zwischen Remy und mir hin und her. »Ihr missversteht mich, mein Herr. Ihr glaubt wohl, ich bin ein gewöhnliches Mädchen.«
»Nein. Du missverstehst mich und glaubst wohl, ich bin ein ehrenwerter Mann. Ich kann dir versichern, dass meine Absichten über die Vorstellungen hinausgehen, die dir deine offensichtlich gute Erziehung erlaubt.«
»Ihr … droht mir?«
»Nicht, wenn du die Rolle spielst, die ich dir zugedacht habe. Es ist kaum mehr als ein guter Ratschlag. Wenn du tust, was ich mir von dir erwarte, dann hast du keine Unannehmlichkeiten zu erwarten.«
Als wir im Château meines Vaters ankamen, verschwand Remy in den Stallungen. Das Mädchen hakte sich bei mir unter, als wir aus der Kutsche stiegen. Kurz nachdem wir angekommen waren, tauchte der Marquis auf. Meine Stiefmutter wankte hinter ihm her.
Der Marquis war so überrascht, das Mädchen zu sehen, dass er nicht nur vergaß, mich dafür zu schelten, dass ich die Kutsche genommen – und gleich wieder verloren – hatte, sondern auch zu fragen, wie das Mädchen hieß. Als wir uns gemeinsam auf den Weg zum Château machten, kam er so nahe an mich heran, wie er es nur wagen konnte. »Wer genau ist sie noch gleich?«
»Die Tochter des Vicomte von Souboscq.«
»Die Tochter! Dann ist sie also noch nicht verheiratet?« Er legte eine Hand auf meinen Arm, und wir blieben stehen. Ich wandte mich ihm zu, und er sah mich traurig und verzweifelt an. »Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Ich habe dir bereits zu viele Chancen gegeben, Julien, und du hast mich jedes Mal enttäuscht. Es ist zu spät. Ich kann das, was ich getan habe, nicht mehr rückgängig machen. Ich habe bereits mit Kardinal St. Florent über die Annullierung gesprochen.«
Glaubte er tatsächlich, dass ich mich für das Mädchen interessierte? »Macht Euch darüber keine Gedanken. Ich habe bloß einen Halt in Souboscq eingelegt, nachdem ich in Montreau war. Ich wusste, dass Eure Frau niemanden mehr hat, seit sie sich vom königlichen Hof zurückgezogen hat. Ich dachte mir, dass sich zwei einsame Seelen gegenseitig Trost spenden könnten. Und wenn das Mädchen der Marquise bloß eine unterhaltsame Gefährtin ist, dann bin ich zufrieden mit meiner Entscheidung.«
Der Marquis sah mich misstrauisch an. »Eine Ehe kann große Freude bereiten … selbst wenn es zu spät ist, um meine Pläne noch zu ändern.«
Er machte sich etwas vor. Ich hatte keine Zweifel daran, dass ihn meine Stiefmutter schon bald genauso unglücklich machen würde, wie es meine Mutter getan hatte.
Meine Stiefmutter hingegen hatte keine Vorbehalte, was das plötzliche Auftauchen des Mädchens betraf. Sie klatschte in die Hände. »Wie liebenswürdig du doch bist, Julien! Und wie großmütig, dass du an mich denkst.« Sie streckte eine Hand nach dem Mädchen aus. »Du und ich werden die besten Freundinnen werden!«
Kapitel 14
Alexandre Lefort
Provinz Gascogne, Frankreich
H örst du mir zu, fiston? «
Fiston. Mein Vater hatte mich fiston genannt. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich zuerst nicht wusste, wo ich war: wieder im Wald von Béarn bei meinem Vater oder beim Vicomte im Château von Souboscq.
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