Die Blueten der Freiheit
nicht, dass er in Armut versank.
»Das Einzige, was ich will, ist das, was ich scheinbar nicht haben kann. Zumindest nicht, bis du wieder hier bist.« Seine Augen waren müde. Seine Stimme klang mittlerweile alt.
Lisette. Sie war das Einzige, das seine Augen jemals zum Leuchten und ihn selbst jemals zum Lachen gebracht hatte. Ich wollte sie ebenfalls wieder zurückhaben. Ich versteckte die Münzen in meinem Wams. »Ich komme so schnell wie möglich wieder.«
Er schloss die Augen und nickte. Dann öffnete er sie wieder und sah mich warnend an. Ich musste ihm eine Truhe bringen, die er aus Souboscq mitgenommen hatte. Daraus entnahm er eine Pistole und schob sie mir über den Tisch hinweg zu. »Du musst auf dich aufpassen. Die Straßen sind gefährlich geworden … Es sind viele Banditen unterwegs.«
Ich nahm die Pistole an mich, doch es gab jemanden, der mir mehr Angst einjagte als die Straßenräuber. Menschen, die die Macht hatten, mich wieder in jenes Leben zurückzubefördern, aus dem der Vicomte mich befreit hatte. Ich hatte Angst vor den Schergen des Königs und der Macht von Kardinal Richelieu. Sie würden sechstausend Livre von mir verlangen, die ich jedoch nicht hatte. Sie würden dem Vicomte seinen Titel aberkennen und uns alle aus dem Königreich verbannen … wenn sie meinen Vetter nicht vorher schon hinrichten ließen.
Als Kind hatte ich etwas Geld beim Glücksspiel verdient. Und selbst jetzt, wo diese Zeiten weit hinter mir lagen, hatte ich das traurige Gefühl, dass meine Chancen auf Erfolg gerade einmal ausgewogen waren. »Du kommst also mit diesem Geld aus, bis ich wiederkomme?«
»Mach dir keine Sorgen um mich.« Er streckte seine zitternde Hand aus und legte sie auf meinen Unterarm. »Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird Lisette bei dir sein.«
Ich konnte bloß nicken und hoffen, dass uns das Schicksal wohlgesinnt war. Dass ich ihn tatsächlich jemals wiedersehen und ich es schaffen würde, Lisette beim Grafen auszulösen.
»Vielleicht sollte ich dem Marquis d’Eronville einen Brief schreiben und ihm erzählen, was sein Sohn uns angetan hat, während du fort bist.«
Ich griff nach seiner Hand und kniete mich neben ihm nieder. »Willst du ihm einen Grund geben, dich an den Kardinal zu verraten? Du darfst nichts dergleichen tun! Der Graf wird ihr kein Leid zufügen. Was auch immer der Grund dafür sein mag, er braucht die Spitze unbedingt. Der beste Weg, um für Lisettes Sicherheit zu garantieren, ist, sie dort zu lassen, wo sie gerade ist.«
Ich trieb mein Pferd an und kam nach fünf Tagen in Flandern an. Nachdem ich die Grenze überquert hatte, ritt ich weiter in die Stadt Kortrijk. Ich nahm mir ein Zimmer in einem Gasthof und öffnete den Brief des Grafen.
Was war das für ein Mann, dessen Handschrift so gleichmäßig und bedächtig wirkte? Der jede Zeile am gleichen Punkt am linken Rand des Briefes begann und am selben Punkt auf der rechten Seite enden ließ? Ich hätte gesagt, dass so ein Mann wohl vernünftig und wohlüberlegt in seinem Handeln war. Selbstbeherrscht. Doch seine Handschrift stimmte nicht mit dem überein, was ich von ihm wusste. Er war leichtfertig und tugendlos. Und die unangemessen große, unleserliche Unterschrift am Ende des Briefes deutete genau auf einen solchen Mann hin.
Doch es spielte keine Rolle, denn ich konnte ihn nicht noch mehr hassen, als ich es ohnehin schon tat. Ich überlas die Höflichkeitsfloskeln, bis ich zu dem Teil kam, der wirklich von Bedeutung war.
Die Ware kann über das Kloster in Lendelmolen bezogen werden. Nehmt Kontakt mit dem Spirituosenhändler Arne De Grote auf. Sein Laden befindet sich in der Leiestraat in der Nähe des Marktes von Kortrijk. Er wird den Transport der Ware nach Frankreich organisieren.
Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg nach Norden in Richtung des Klosters. Bald darauf begann es zu regnen. Obwohl ich zunächst von Hügeln umgeben war, wurde die Landschaft schnell flacher. Eine Straße zog sich durch die Ebenen Flanderns, durch Sumpfgebiete und vorbei an Deichen, Feldern und Kanälen. Man hatte das Land dem Meer abgerungen, und dennoch war der Boden noch immer nicht vollkommen trockengelegt. Wasser sickerte überall hervor, und die trampelnden Hufe der Kühe und Schafe verwandelten den Schlamm wieder in eine Sumpflandschaft.
Die Luft roch nach Salz, Erde und Dung. Unzählige Windmühlen zerschnitten den Nebel mit ihren riesigen Segeln. Sie drehten sich unablässig und beinahe lautlos, und ich
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