Die Blueten der Freiheit
»Verzeih, Vetter.« Es war nun wichtiger als je zuvor, überlegt und entschlossen zu handeln, und doch …
Er legte seine zitternden Hände auf den Tisch und verschränkte sie ineinander. »Glaubst du, du schaffst es?«
Glaubte ich es? Die Tatsache, dass mein Vetter keine Wahl mehr hatte, bedeutete, dass es auch für mich keine andere Möglichkeit gab. Ich hatte keine andere Wahl, als mich unter keinen Umständen dabei erwischen zu lassen, wie ich Spitze nach Frankreich schmuggelte.
»Du musst diskret vorgehen.«
Ich war der Inbegriff der Diskretion. Niemand ahnte, dass ich einmal im Wald gelebt hatte und ein Dieb gewesen war. Niemand hatte mich jemals des Mordes bezichtigt. Ich hatte dieses Leben weit hinter mir gelassen, und nun verlangte man von mir, dass ich es wieder aufnahm. Meine innere Stimme schrie mir zu, es nicht zu tun.
Doch Lisettes Stimme war lauter.
Ich konnte ihr Gesicht nicht aus meinen Gedanken verbannen. Und auch nicht die plötzliche und schreckliche Trauer, die ich verspürte, seit sie nicht mehr hier war. Sie war vollkommen und überwältigend. Wollte ich für sie zum Dieb werden? Zum Schmuggler? Ich wäre für sie sogar in die Hölle hinabgestiegen, wenn es notwendig gewesen wäre. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. »Ich werde es tun.«
Ich würde alles tun.
Wir verkauften das Anwesen an einen Mann, der sich immer schon für die üppigen Felder und die beneidenswerte Lage oberhalb des Flusses begeistert hatte. Er war klein und beleibt und hatte einen säuberlich gestutzten Bart, der zu seiner umfangreichen Körpermitte hinabzeigte. Doch sein goldbestickter Mantel war etwas zu aufwendig, und der große Schlapphut, den er trug, war ihm zu groß. Er war ein Mann, der offensichtlich alles dafür tat, um sein Ansehen zu steigern. Obwohl er einer der Steuereintreiber in der Provinz war, hatte er nichts Adeliges an sich, mit Ausnahme seiner Kleider, die er sich gemeinsam mit seiner Position erkauft hatte. Er hatte sich das gekauft, was anderen einst von Geburt an gegeben gewesen war, zumindest Menschen wie meinem Vater, der einer der angesehensten Ritter des verstorbenen Königs Heinrich gewesen war und nach der Noblesse d’épée gestrebt hatte, einem Adelsstand, der im Feuer des Krieges erworben und in der Hitze des Gefechtes erprobt worden war. Für diesen Provinzialbeamten war jedoch nur wichtig, dass sein Fleisch durchgegart und sein Geldbeutel gefüllt war.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn mich jemand ausgelacht hätte, denn ich verteidigte allen Ernstes eine Gesellschaftsschicht, der ich selbst nie wirklich angehört hatte!
Nachdem mein Vetter ihm die Schlüssel übergeben hatte, nahm mich der Mann zur Seite. »Meine Tochter hatte schon immer etwas für Euch übrig, Lefort. Gut, dass ich ihr stets gesagt habe, sie solle sich besser nach etwas anderem umsehen. Wenn ich zugelassen hätte, dass sie Euch heiratet, wo wäre sie dann heute?« Er stand nahe genug bei mir, dass ich den Knoblauch riechen konnte, den er wohl am Abend zuvor gegessen hatte. »Tatsächlich habe ich nun die Chance, bald eine Stelle im königlichen Haushalt anzutreten.«
Wenn er zugelassen hätte, dass sie mich heiratet? War er tatsächlich so selbstgefällig, zu denken, dass ich um ihre Hand angehalten hätte? Doch es hatte keinen Sinn, ihn nun zu verärgern. »Ich bin mir sicher, dass sie bald einen Gemahl finden wird, der Eurem Stand entspricht.«
Er kicherte und hielt sich eine Hand auf den Bauch. »Ich hoffe, dass Euch Eure guten Manieren in Zukunft das Leben leichter machen werden.«
Der Mann verbeugte sich vor dem Vicomte. »Ein Titel ohne die dazugehörigen Ländereien und ein Anwesen ohne den dazugehörigen Titel. Ich frage mich, wer von uns beiden wohl das bessere Los gezogen hat?« Sein Lachen ließ wenig Zweifel daran, wen er für den Gewinner hielt.
Mein Vetter hatte von dem Beamten einiges an Gold für seine Demütigung erhalten. Wir saßen im Haus des Dorfarztes und zählten es. Wir hatten den Mann dazu überredet, dem Vicomte Unterschlupf zu gewähren, während ich nach Flandern reiste, um die Spitze für den Grafen zu besorgen. Der Vicomte nahm eine einzelne Goldmünze an sich und steckte sie in seine Tasche, danach füllte er den Rest in einen Lederbeutel und überreichte ihn mir.
Ich zögerte, den Beutel einzustecken. »Du solltest mehr für dich zurückbehalten.« Falls mir auf der Reise, die ich unternehmen würde, um die Spitze zu kaufen, etwas passieren sollte, wollte ich
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