Die Blueten der Freiheit
Ich brauchte einfach alles.
Er hielt seinen schlammverkrusteten Karren einige Schritte vor mir an. »Du siehst aus, als wärst du in Schwierigkeiten geraten, mein Freund.«
Da hatte er recht. Ich griff nach meinem Ellbogen, um meine Schulter zu stabilisieren, in der Hoffnung, dadurch die furchtbaren Schmerzen erträglicher zu machen. »Ich brauche etwas zu essen. Ich bin bereit, dafür zu arbeiten.«
Er schob seinen Hut zurück und sah mich an. »Und was kannst du?«
Was ich konnte? »Dinge stehlen. Und bestohlen werden.«
Er lachte tief und herzhaft. »Zumindest bist du ehrlich. Für einen Dieb, meine ich.« Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß und nickte schließlich. »Und wie kann ich sicher sein, dass du mich nicht bestiehlst?«
»Ich habe damit aufgehört.«
Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen lange an. »Das bezweifle ich.«
Ich warf ihm einen noch längeren Blick zu. Und dann entschied ich, ihm die Wahrheit zu sagen. »Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier. Doch der Mann, mit dem ich ins Geschäft kommen wollte, hat mich ausgeraubt.«
Er kaute auf der Innenseite seiner Wange herum, während er mir zuhörte. »Und was für Geschäfte sind das?«
»Das geht Euch nichts an.«
Er hielt eine Hand in die Höhe, als wollte er einen Schlag abwehren. »Kein Grund, gleich unhöflich zu werden. Wo willst du denn hin?«
»Nach Lendelmolen.« Letzten Endes.
»Ich werde dort vorbeikommen. Ich bin unterwegs ans Meer.«
Es war mir egal, ob er nach Spanien oder sonst wohin wollte, solange er mich nicht mitten auf der Straße stehen ließ. »Ich sollte meine Geschäfte in zwei Wochen erledigt haben und wieder nach Hause zurückkehren …«
Nein. Nicht nach Hause. Souboscq war nun das Zuhause eines anderen Mannes. Es würde niemals mehr mein Zuhause sein. »Doch bis dahin …« Entweder half er mir oder eben nicht.
»Ich habe einen Bauernhof. Und ich könnte Hilfe bei der Erneuerung eines Deiches gebrauchen, aber ich werde dich nicht dafür bezahlen.«
Ich hatte auch nicht damit gerechnet, bezahlt zu werden. »Bekomme ich einen Platz zum Schlafen? Und etwas zu essen?«
»Wenn du es dir verdienst. Reginhard Deroeck hat noch nie jemanden hintergangen.«
»Ich werde es mir verdienen.«
»Aber zuerst …« Er stieg ab, streckte die Hand aus und ließ sie auf meine Schulter fallen.
Ich fiel vor Schmerz beinahe in Ohnmacht.
Dann griff er mit der anderen Hand nach meinem Ellbogen und zog ruckartig an meinem Arm. Er grunzte, und ich schrie auf, als mein Schultergelenk mit einem lauten Knacken wieder an seinen Platz sprang. »Ich glaube, ich muss mich wohl bei Euch bedanken …« Und während er noch lauthals lachte, verlor ich das Bewusstsein.
Als ich aufwachte, lag ich auf dem Karren neben einem Käfig voller Hühner und einigen Steckrüben. Als wir schließlich anhielten, half mir Reginhard hoch. Dann zog er mich zu einer kleinen Hütte, aus deren Kamin ein dünner Faden Rauch aufstieg und von dem ein verlockender Geruch nach etwas ausging, von dem ich hoffte, dass es sich um Essen handelte.
Er öffnete die Tür, und mir bot sich der heimelige Anblick einer Familie vor einem Feuer. Zwei kleine Kinder spielten auf der einen Seite des einzigen Raumes mit einem Kreisel, während zwei ältere Kinder der Frau beim Kochen auf dem offenen Feuer halfen.
Die Frau richtete sich auf, als wir die Hütte betraten.
»Das ist Gertrud. Und das ist …« Der Mann deutete auf mich, während er seine Kappe auf einen Haken hängte und aus seinem Mantel schlüpfte. »Das ist … ein Mann aus Frankreich.«
»Alexandre.« Es spielte keine Rolle, dass ich ein Lefort war. Unter diesen Umständen hätte ich genauso gut ein Girard sein können.
»Er ist hier, um mir bei der Erneuerung des Deiches zu helfen.«
Sie warf mir einen Blick zu und fuhr dann fort, in dem Kessel zu rühren, der über dem Feuer hing.
»Ich habe ihm gesagt, dass er hier in einer Ecke schlafen kann.«
Sie ließ sich dazu herab, mich etwas länger zu mustern, als hätte ich eine genauere Inspektion verdient. Nachdem sie damit fertig war, wandte sie sich ihrem Mann zu. »Ich gebe ihm auch etwas Stroh, wenn er dafür das Loch im Dach stopft.«
Der Mann hob eine Augenbraue und sah mich an.
Ich nickte.
»Das wird er.«
»Gut. Das ist gut.« Sie nahm eine Schüssel vom Regal und schöpfte etwas aus dem Kessel. Dann stellte sie die Schüssel auf den Tisch, der in der Mitte des Raumes stand. Eines der beiden Mädchen, die ihr zur Hand gegangen
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