Die Blütenfrau
überlasteten Gefängnispsychologen.»
Tillmann Erb verwünschte seinen beschleunigten Herzschlag. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Diese Person hatte überhaupt keine Ahnung von der Materie, wahrscheinlich hatte sie sich noch nie wirklich mit dem Thema Pädophilie beschäftigt. Sie glaubte mit Sicherheit wie so viele, dass pädophil veranlagte Menschen ausnahmslos eine Gefahr für die Menschheit seien und deshalb grundsätzlich lebenslang hinter besonders dicke Gitter gehörten. Es war also im Grunde genommen null und nichtig, was Katharina Zwolau da zwischen den Zeilen anzudeuten versuchte. Leider hatte sie außer ihrem stumpfen Verstand aber auch diese verdammt spitze Zunge.
Erb wusste, als Gutachter in heiklen Gerichtsverfahren stand man immer auf dünnem Eis.
In Fällen wie dem von Gernot Huckler jedoch konnten die Entscheidungen von existenzieller Bedeutung sein. Für einen selbst, für den Betroffenen, aber auch für Menschen, die in der Vergangenheit oder Zukunft durch ein Ja oder Nein betroffen waren oder betroffen sein würden.
Ganz davon abgesehen gab es zahlreiche Patienten, mit denen er wesentlich lieber sprach als mit einem Mann, der schon seit seiner Jugend darauf fixiert war, Begegnungen und körperlichen Kontakt mit unreifen Mädchen zu seiner Befriedigung zu nutzen. Tillmann Erb war selbst Vater einer zehnjährigen Tochter, und er war wirklich nicht scharf darauf, seine Zeit mit Männern wie Gernot Huckler zu verbringen. Deswegen hatte er damals auch gezögert, bevor er den Auftrag des Landgerichts angenommen hatte. Damals, vor anderthalb Jahren, als der wegen Kindesmissbrauchs inhaftierte Mann den Antrag auf vorzeitige Entlassung stellte. Schließlich hatte er den Fall dann aber doch übernommen und einen ganz anderen Menschen kennengelernt, als er erwartet hatte: Gernot Huckler war in den vergangenen vier Jahren durchgehend therapiert worden, er schluckte Tabletten, die seinen Hormonspiegel regulierten, er hatte soziale Kontakte auch außerhalb der JVA geknüpft und sogar geheiratet. Und was ein noch wesentlicherer Aspekt war: Er hatte seine Taten zutiefst bereut. Die Wunden bei seinen beiden Opfern würden zwar nie ganz heilen, doch das Leben ging weiter. Für alle, für den Täter und die Opfer.
Als Erb dem Antrag nach eindringlicher Begutachtung schließlich zugestimmt hatte, war die Öffentlichkeit über ihn hergefallen. Sein Urteil und die Entscheidung des Gerichtes wurden infrage gestellt. Die Titelseite der
Zeitlupe
hatte damals ein Porträt von ihm gezeigt und übel über das ganze Verfahren hergezogen. Und schon damals hatte er sich gewünscht, mit Katharina Zwolau nichts mehr zu tun haben zu müssen. Sie hatte ein – zugegebenermaßen recht eindrucksvolles – Interview mit einem von Hucklers Opfern zum Thema vorzeitige Haftentlassung geführt, seitdem spielte sie sich auf.
Und nun suchten diese Frau und die Geschichte von damals ihn wieder heim.
Hatte es tatsächlich einen Mord in Ostfriesland gegeben? In der Stadt, in der Gernot Huckler nun mit Frau und Stieftochter seit geraumer Zeit lebte? War er tatsächlich rückfällig geworden? Tillmann Erb räusperte sich.
«Ich bin mir sicher, dass von dem Mann, den ich bei meiner Arbeit kennenlernen konnte, keine Gefahr für die Gesellschaft mehr ausgeht. Sonst hätte ich niemals dem Antrag auf vorzeitige Entlassung zugestimmt.»
«Sie wissen genau, dass niemand an Ihrer Einschätzung gezweifelt hat, die Hucklers Zustand in der Zeit seiner Gefangenschaft anging», bohrte Zwolau gnadenlos weiter. «Doch die meisten hatten Bedenken, ob dieser Mann es auch schaffen würde, im normalen Alltag weiter straffrei zu bleiben. Sie kennen die Rückfallquote bei Kindesmissbrauch, sie ist so hoch wie bei keiner anderen Verbrechensart. Wer es einmal getan hat, der …»
«Verschonen Sie mich mit Ihrem Halbwissen», unterbrach Erb. «Die Rückfallquote ist ebenso hoch wie bei Straßenverkehrsdelikten und Drogenmissbrauch. Und bei heterosexuellen Übergriffen auf Kinder – wie im Fall Gernot Huckler – bleiben sogar ungefähr zwei Drittel nach der Haft sauber. Was wollen Sie mir also erzählen?»
«Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, Herr Dr. Erb. Ein Fehlgutachten im Fall Gernot Huckler wäre Ihre Bauchlandung», giftete es aus dem Hörer. Zwolau war bekannt für ihre wenig diplomatische Art. Sie nannte sich selbst eine Vollblutjournalistin, aber in Wirklichkeit war sie einfach nur schrecklich
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