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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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einen Menschen seines Schlages steckte sogar eine ganze Menge Missbilligung darin.
    Wencke hatte das sichere Gefühl, dass Vater und Sohn Thedinga sich alles andere als nah standen.
    «Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Es kann sein, dass wir nochmal ein paar Fragen an Sie oder Ihre Frau haben. Sie verreisen nicht zufällig in nächster Zeit?»
    Er schnaubte. «Jau, mit fast hundert Kühen im Handgepäck, oder was?» Dies war sein bislang längster Satz gewesen.
    Wencke hob den Arm zum Abschied und ging Richtung Auto. Hanno Thedinga würde sie später vom Büro aus anrufen. Eine weltbewegende Information versprach sie sich ohnehin nicht davon.
    Als sie vom Hof rollte, mussten die Stoßdämpfer des Dienstwagens alles geben. Dieser Weg hatte den Charme und Komfort des vorletzten Jahrhunderts, und Wencke war froh, nach kurzer Zeit auf die geteerte Alleestraße zu gelangen.
    An der Ecke stand ein windschiefer Postkasten, unter dem das Namensschild der Familie hing, daneben waren eine altmodische Hundewarnung («Warnung vor dem bissigen Hunde!») und ein selbst geschriebenes, in einer Plastikfolie geschütztes Plakat zu lesen: «6   Maikätzchen zu verschenken».
    «Es waren fünf!», sagte Wencke, doch gerade als sie den Blinker setzte und Richtung Norden abbiegen wollte, sah sie im Postkasten etwas Merkwürdiges liegen. Sie zog die Handbremse an, ließ den Motor laufen und stieg aus dem Wagen. Sie hatte sich nicht getäuscht: Aus der röhrenförmigen Postbox hing ein kleiner, dünner, schwarzer Katzenschwanz. Wencke holte eine Tüte aus dem Handschuhfach und griff damit nach dem versteckten Kadaver. Kein Zweifel, das Tier war überrollt worden. Es war so flach und trocken wie ein Stück Pappe. Wencke nahm es mit.
    Klar, Katzen wurden überfahren. Aber dieses Tier hätte allein nie den weiten Weg von seinem Lager im Heu bis zur befahrenen Straße geschafft. Wie also war es dort hingekommen? Außerdem würden nur die wenigsten Menschen auf die Idee kommen, ein versehentlich überfahrenes Tier in einen Briefkasten zu stecken.
    So etwas machten nur – hm – Verrückte?

8.
    Willow
(Gelbe Weide)
    Botanischer Name: SALIX VITELLINA
    Die Blüte für Menschen, die sich als Opfer der Umstände fühlen
     
    Im Café lief ein Radio, laut genug, dass es auch auf der kleinen Terrasse zu hören war. Die Nachrichten zur vollen Stunde brachten es als erste Meldung: In Norden war ein Mädchen tot aufgefunden worden, Allegra S., dreizehn Jahre alt, die Polizei ging von einem Gewaltverbrechen aus.
    Gernot Vanmeer war klar, zu Hause suchten sie ihn jetzt wahrscheinlich. Es lag doch auf der Hand. Ein dreizehnjähriges Mädchen – da musste die Kripo schnell auf seine Spur kommen. Heute Morgen, als er losgefahren war, hatten sie noch von einem Vermisstenfall gesprochen. Jetzt benutzte der Moderator das Wort Mord. Dann hatten sie das Kind also gefunden. Es war sinnlos zu flüchten.
    Niemand sonst schien den Nachrichten zu lauschen. Die beiden Kellnerinnen vor der Tür redeten lieber über das Wetter und darüber, dass es ein Jahrtausendsommer werden solle und ob dies wohl an der Klimaerwärmung läge.
    Gernot war egal, woran es lag. Er wollte den Sommer genießen. In diesem Jahr ganz besonders. Er beobachtete zwei Möwen, die im Blau tanzten, als wären sie vom Tourismusverband dafür bezahlt worden. Der Himmel war so groß hier in Ostfriesland. Ein Mädchen kaufte an der Durchreiche ein Eis in der Waffel, einmal Sahne-Kirsch, einmal Zitrone. Sie trug einen sehr kurzen Jeansrock, und ihr T-Shirt endete über dem Nabel.
    Gernot bezahlte seinen Milchkaffee und ging. Das ist nicht mein Ding, sie zeigt zu viel Haut, dachte er. Aber wenn ich sehe, wie sie an ihrem Eis schleckt, das finde ich schön.
     
    Ihre Freundin wartete ein Stückchen weiter.
    Sie gefiel ihm wesentlich besser, war nicht so affektiert und trug eine rosa Hose, die nur bis zur Mitte der schlanken Waden reichte. Dazu ein geblümtes T-Shirt . Am Oberarm hatte sie eine Pigmentstörung. Einen sogenannten Milchkaffeefleck. Die hellbraune Stelle hatte die Form von Sumatra. Das konnte er deutlich erkennen. So nah kam Gernot an sie heran, als er an ihr vorbeiging.
    Das Motorrad hatte er auf dem Parkplatz abgestellt. Am Altglascontainer blieb er stehen. Sein Blick folgte den Mädchen Richtung Supermarkt. Neben dem Eingang klebte ein großes Plakat mit Bierwerbung, ein schicker Mann schob seinen Mund in den Schaum und schaute dabei einer Frau im roten Minikleid

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