Die Blütenfrau
das auch tun, sobald ich alt genug dafür bin. Soll er doch an seiner ‹Fürsorglichkeit› ersticken.»
Britzke hatte die Seite mit der schnörkeligen Schrift bereits kopiert und hängte den Abzug jetzt an die Pinnwand direkt neben das Konfirmationsbild der Toten.
Pal spielte mit ihrer bunten Strähne. «Macht das den Vater nicht auch ein wenig verdächtig? Wenn er so an seiner Tochter gehangen hat …»
Einige nickten. Auch Wencke war dieser Gedanke schon im Kopf herumgespukt. Es gab immer wieder Fälle, bei denen verzweifelte Väter oder Mütter ihren Nachwuchs lieber umbrachten, als ihn der Erziehung des anderen Elternteils zu überlassen. Aber zu Peter Sendhorst würde das beim bestenWillen nicht passen. Zumindest war dies die Meinung von Wenckes Bauch.
«Kann ich mir nicht vorstellen. Er ist nicht der Typ.»
Britzke schnaubte. «Klingt ja nach einer sehr fundierten Feststellung. Lass mich raten, woher du dieses Wissen nimmst …»
Normalerweise war Britzke nicht so giftig, eigentlich war Wenckes intuitives Vorgehen von ihm immer freundlich bedacht worden. «Warum fährst du mich so an, Britzke? Wenn du glaubst, ich habe gestern am Telefon unverantwortlich gehandelt, dann …»
«Hey, Wencke, mach mal halblang. Du kriegst heute aber wirklich alles in den falschen Hals. Niemand macht dir hier einen Vorwurf.» Britzke schaute sich um. Die meisten nickten zustimmend.
«Ich wollte deine Intuition nur mit Fakten untermauern, die ich von Ute Sendhorst habe und die auch dafür sprechen, dass ihr Exmann so was wie ein Softie ist. Früher hat er als Sanitäter bei der Bundeswehr gearbeitet, einen Jugoslawieneinsatz für drei Monate hat er mitgemacht, mehr nicht. Den Stellenabbau bei der Truppe hat er genutzt, in den bezahlten Erziehungsurlaub zu gehen. Anschließend wurde er krankgeschrieben. Er sei psychisch nicht belastbar, hieß es. In seinem Schrank stehen entsprechende Medikamente, und er hat schon oft auf der berühmten Couch gelegen.»
«Was hat er denn überhaupt getan den lieben langen Tag?», fragte Pal.
«Na, sich um seine Tochter gekümmert. Und das ihrer Meinung nach vielleicht ein bisschen zu fürsorglich.»
Diese Erklärung reichte, um das Thema Peter Sendhorst zumindest zu vertagen.
«Was ist denn mit den einschlägig Vorbestraften? Ich meine,das Mädchen war nackt, das spricht doch eher für ein Sexualdelikt», gab Greven zu bedenken.
Pal schnipste wohl mehr unbewusst mit den Fingern. «Es sei denn, der Täter wollte uns damit auf eine falsche Fährte locken.» Es gefiel Wencke, wenn die neue Kollegin so scharfsinnig um die Ecke dachte.
«Eine Vergewaltigung oder Ähnliches lag höchstwahrscheinlich nicht vor», wusste Sanders. «Keine deutlichen Verletzungen zu erkennen. Die Blutspuren an ihren Schuhen stammen jedenfalls nicht von dem Mädchen, so viel steht schon mal fest. Aber trotz allem, die Kollegen von der Spurensicherung vermuten, dass ein Triebtäter dahinterstecken könnte. Riemer meint, wir sollen Gas geben.»
Britzke brachte wie auf Kommando diverse Papiere zum Vorschein. Er heftete sie an die Wand, und alle schauten ihm konzentriert dabei zu, als vollbringe er gerade eine sportliche Höchstleistung. Es hatte den Anschein, dass sich die ganze Abteilung zusammenrottete; den Vorwurf aus dem Radio wollte keiner auf sich sitzen lassen. Wencke war fast gerührt von dieser Solidarität, denn im Prinzip galt die Kritik der Ute Sendhorst ihr allein.
Britzke zeigte mit seinem silbernen Kugelschreiber auf die DIN-A 4-Blätter . «In Norden und Umgebung stehen zwölf Personen wegen ähnlicher, wenn auch nicht übermäßig gewalttätiger Übergriffe an Minderjährigen in den Akten. Neun davon kommen nicht in Frage, weil sie zum Zeitpunkt der Tat bei der Arbeit, im Urlaub, im Krankenhaus oder sonst wie in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen sind und dafür glaubwürdige Zeugen haben.»
Da soll nochmal einer sagen, wir machten unsere Arbeit nicht, dachte Wencke. Zwölf Personenüberprüfungen an einem halben Tag waren beachtlich. Sie nickte Britzke anerkennend zu.
«Einzig einen älteren Mann, der sich schon seit Jahren nichts mehr hat zuschulden kommen lassen und der zudem gehbehindert ist, haben wir bislang nicht erreicht. Oder, Pal, bist du inzwischen …?»
Die Kollegin nickte eifrig und fuhr sich mit den Fingern durch den wasserstoffblonden Schopf. «Ich war vorhin noch kurz da. Auch eine Fehlanzeige. Er schiebt einen Rollator vor sich her und bewegt sich in etwa so
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