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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Synonym für unverhoffte Schönheit inmitten von Tristesse verwandt wurde. Das Haus der Heilpraktikerin Esther Vanmeer bot allen Grund, sich des vergessenen Wortes zu erinnern. Die Küstenstadt Norden war keineswegs hässlich, selbst die stillgelegte Schnapsbrennerei hatte ihren gewissen Charme, und links und rechts der von Inselurlaubern stark frequentierten Durchgangsstraße standen geschmackvoll renovierte Jugendstilvillen. Doch diese Straße mit dem hübschen Namen Rosenthallohne war nochmal ein ganzes Stück lieblicher und das verwunschene Häuschen mit dem Messingschild «Esther Vanmeer   – Heilpraktikerin» geradezu entzückend. Eine Schande, dass da diese roten Buchstaben an die Wand geschmiert worden waren.
    Wencke und Axel hatten den Wagen ein Stück abseits stehen gelassen und liefen den Rest zu Fuß. Schon von weitem konnten sie eine Frau ausmachen, die ein altes T-Shirt trug und ihre dicke Pinselrolle in einen Farbeimer tauchte. Sonst war niemand zu sehen. Axel telefonierte. Er hatte schon mehrfach versucht, den Sohn der Bauernfamilie auf Spiekeroog zu erwischen, um seine Angabe, wann Allegra vorgestern vom Hof aufgebrochen war, bestätigt zu wissen. Bislang vergeblich.
    «Frau Vanmeer?»
    Die Frau unterbrach die Arbeit, richtete sich auf und wischte den Schweiß von der Stirn. «Ja bitte?»
    «Ich bin Wencke Tydmers von der Kripo Aurich, und der Mann am Telefon ist mein Kollege Axel Sanders.»
    «Ich dachte mir, dass sie von der Polizei sind. Paare wie Sie laufen normalerweise nicht durch unsere versteckte Straße. Und heute hat sich hier sowieso noch niemand blicken lassen. Die haben alle Scheu, mir zu begegnen.»
    «Das tut mir leid. Eine unschöne Wandbemalung, wirklich.»
    «Wissen Sie, wie teuer diese verdammte Fassadenfarbe ist? Da bleibt kein Cent mehr für einen professionellen Maler übrig.» Sie setzte den Pinsel an, tupfte über die roten Buchstaben und versuchte zuallererst, das Wort MÖRDER zu eliminieren. Ein etwas zynisches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. «Aber auf diese Weise halte ich wenigstens die lieben Nachbarn davon ab, sich auf der Straße das Maul über mich und meinen Mann zu zerreißen.»
    Esther Vanmeer war nicht viel größer als Wencke, aber sicher einige Kilo schwerer. Der glatte Pagenkopf machte sie älter, als sie wahrscheinlich war. Diese quadratisch-praktisch-gute Frau war also mit dem Schreckgespenst Gernot Huckler verheiratet. Schwer vorstellbar, fand Wencke.
    «Wir hätten noch ein paar Fragen an Sie. Wollen wir nicht lieber reingehen?»
    Esther Vanmeer schüttelte den Kopf. «Es ist mir ganz recht, wenn wir hier stehen bleiben. Dann wissen die Leute wenigstens, dass ich nichts zu verheimlichen habe. Aber ich muss Sie enttäuschen: Von meinem Mann habe ich noch immer nichts gehört und gesehen.»
    «Es geht um etwas anderes. Um Blutegel.»
    «Blutegel? Wollen Sie sich etwa behandeln lassen?»
    Wencke schauderte. «Nein, bloß nicht. Wir würden nur gern wissen, ob Sie welche haben, und wenn ja, wo sie gelagert sind.»
    «…   und ob Ihnen eventuell ein paar Exemplare fehlen», ergänzte Axel, der eben sein Handy zusammenklappte und näher herantrat.
    Esther Vanmeer lachte. «Das würde ich beim besten Willen nicht merken. In meinem Aquarium sind ungefähr vierzig Tiere. Und ich zähle sie nicht abends vor dem Zubettgehen.» Doch dann stockte sie. Anscheinend wurde ihr erst jetzt die Merkwürdigkeit dieser Fragen richtig bewusst. «Was hat das tote Mädchen   …»
    «Verwenden Sie   …? Moment mal   …» Wencke kramte einen zerknitterten Zettel aus ihrer Jeansjacke. «Verwenden Sie
Hirudo medicinalis

    «Ja, natürlich. Das sind die Besten, sie produzieren die meisten entzündungshemmenden Stoffe.»
    «Und wo bewahren Sie die Tiere auf?»
    «Das kann ich Ihnen zeigen.» Esther Vanmeer legte den Pinsel auf das Abrollgitter und wies auf einen schmalen, ziemlich verwachsenen Steinweg, der hinter das Haus führte. Zwei schmucklose Aquarien standen im Fahrradschuppen. Auf den ersten Blick sahen sie leer aus, doch dann erkannte Wencke im rechten Bassin etliche schmale, längliche Würmer. Die meisten Egel lagen auf dem Glasboden, nur ein paar schwammen herum, zogen ihre glatten, dunkelbraunen Körper in die Länge oder schlängelten sich von links nach rechts. Zwei auffällig dicke Exemplare im linken Glaskasten krochen träge vorwärts.
    «Die beiden Riesen hatten gestern eine große Portion. Die anderen sind wahrscheinlich hungrig. Meine

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