Die Blütenfrau
sowieso nicht mehr rechtzeitig in die morgige Ausgabe. Soweit ich weiß, haben Sie um halb zwölf Redaktionsschluss.»
«Aber nicht, wenn in Ostfriesland ein Serienkiller herumläuft. Noch dazu einer, der eigentlich noch hinter Schloss und Riegel sitzen könnte.»
«Serienkiller …», hustete Erb. «Blödsinn. Die Stieftochter von Gernot Huckler gilt bislang lediglich als verschwunden. Sie ist wahrscheinlich weggelaufen.»
«Das dachte man von Marina Kobitzki auch.»
«Marina wer?» Die Frage war nur vorgeschoben. Erb wusste gleich, dass sie über das dritte Mädchen redete – den angeblichen Versprecher der Spurenfrau. Er stand auf, zum Sitzen auf der Bettkante war er jetzt einfach zu unruhig, schlüpfte in die Pantoffeln und trat ans Fenster. In den Auricher Straßen lief der Regen über den Asphalt, ein entferntes Gewitter flackerte über den Dächern. «Würden Sie mich bitte mal aufklären?»
«Gernot Huckler war auf Spiekeroog, und dort hat man vor ein paar Stunden die Leiche einer zwölfjährigen Schülerin aus dem Ententeich gefischt. Und kaum ist unser gemeinsamer Bekannter wieder auf dem Festland, fahndet man nach Griet Vanmeer. Alles sehr dicht gewebt, finden Sie nicht, Dr. Erb? Zumindest lückenloser als Ihr dürftiges Psychogutachten.»
«Woher haben Sie diese Informationen?»
«Betriebsgeheimnis. Würden wir Journalisten uns darauf verlassen, von den offiziellen Stellen mit Wissenswertemversorgt zu werden, dann wären die Zeitungen ziemlich dünn.»
«Und was wollen Sie jetzt von mir wissen?»
«Was Sie den Eltern der ermordeten Kinder sagen wollen, wenn die Ihnen eines Tages gegenüberstehen. Werden Sie sagen: Es tut mir leid, zu dem Zeitpunkt, als ich das Gutachten über den Kinderschänder machen sollte, war ich gerade damit beschäftigt, einem Politiker die Weste weißzuwaschen?»
«Das eine hat mit dem anderen doch überhaupt nichts zu tun. Mit Gernot Huckler habe ich vor über einem Jahr gearbeitet. Und der Webcam-Skandal, auf den Sie gerade anspielen, beschäftigte mich vor drei Wochen.»
«Trotzdem wäre es für unseren Ministerpräsidenten sicher alles andere als günstig, wenn der Gutachter, der ihm den angeknacksten Ruf gerettet hat, auf einmal als inkompetent dasteht, meinen Sie nicht?»
«Das ist eine Unverschämtheit sondergleichen. Wenn ein Magazin wie die
Zeitlupe
jetzt anfängt, diese grauenvolle Geschichte hier in Ostfriesland für ihre politischen Zwecke zu nutzen …»
«Ich bitte Sie! Die Gegenkandidatin wird es auch ohne solche Spielchen schaffen, im Herbst die Wahlen für sich zu entscheiden. Da mache ich mir keine Sorgen. Aber das ist doch auch gar nicht unser Thema.»
«Sie haben damit angefangen. Mit diesen hanebüchenen Unterstellungen!»
«War doch nur eine kleine Spitze von mir. Sie kennen mich doch, Dr. Erb, ich kann es einfach nicht lassen. Und Sie fahren ja auch immer so schön aus der Haut …» Die Frau lachte kurz und furchtbar schrill ins Telefon. Dann räusperte sie sich. «Aber jetzt mal im Ernst: Was werden Sie sagen, wenn die Eltern wissen wollen, warum Sie diesen Kerl auf freien Fuß gesetzt haben?»
«Verdrehen Sie nicht die Tatsachen, Zwolau. Das Gericht hat ihn vorzeitig entlassen.»
«Aber nur aufgrund Ihres Gutachtens.»
«Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Gernot Huckler mit dem Mordfall …»
«… den Mordfällen!», korrigierte Katharina Zwolau.
«Meinetwegen mit den Mordfällen … Ich bin sicher, er hat es nicht getan.»
«Sie haben meine Frage nicht beantwortet.»
«Ich mache mir keine Gedanken darüber, was ich den Eltern sagen muss, weil ich weiß, dass dies nicht passieren wird.»
«Sind Sie gewissenlos, Dr. Erb?» Diese Schlange hörte einfach nicht auf. Was versprach sie sich davon? Und warum schwitzte er bloß so entsetzlich?
«Hören Sie, ich bin nach Aurich gefahren, um mit meinem Wissen und meinem Kenntnisstand zu helfen, den Mord an Allegra Sendhorst aufzuklären. Die Kripo ist froh, dass sie mich hat. Ich tue alles in meiner Macht Stehende, um in diesem Fall aktiv mitzuhelfen. Kommen Sie mir also nicht mit Gewissensfragen, Zwolau. Machen Sie lieber Ihren Job und schreiben wahre Geschichten, statt mich mit Ihren überdrehten Hirngespinsten aufzuhalten.»
«Auch Sie sind nur ein Mensch, Dr. Erb.» Die schneidende Stimme der Journalistin war unerträglich. «Und Menschen irren sich nun mal.»
«Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe? Was habe ich Ihnen eigentlich getan?» Diese Frage
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