Die Blütenfrau
gelassen, sie hatte ohnehin Brockelsen ihre Hilfe versprochen, wenn sich der Verdacht gegen Thedinga als falsch herausstellen sollte. Und das war wohl in der letzten Stunde geschehen.
Axel schob einige Birkenzweige zur Seite und spähte in die kleine Höhle, die sich rund um den Baumstamm gebildet hatte. «Wäre das Mädchen hier irgendwo, dann hätte sie doch unser Rufen schon längst gehört.»
«Wenn sie noch lebt, bestimmt.» Wencke hatte kein gutes Gefühl, was Marina anging. Sie würde zwar suchen, bis ihr die Augen zufielen, schließlich konnte auf einer Insel niemand so einfach verschwinden. Doch es war bereits nachacht Uhr, das Mädchen galt schon seit vierundzwanzig Stunden als vermisst.
Eine frische Windböe kam über die Dünen, und am Himmel zog ein dunkelgrauer Teppich vor die Sonne. Das Wetter schien sich Wenckes pessimistischer Stimmung angleichen zu wollen.
«Glaubst du, sie ist tot?», fragte sie.
Axel nickte. Klar, er war bei weitem pragmatischer als sie. Wahrscheinlich rechnete er ganz sachlich die Argumente zusammen, eins und eins gleich zwei, Mädchen und vorbestrafter Pädophiler gleich Mord.
«Und wer soll es getan haben?»
«Wer schon.»
Hanno Thedinga hatte sich während des Gesprächs nicht ein einziges Mal in Widersprüche verstrickt. Selbst als es Wencke um drei Ecken herum gelungen war, ihn nach seiner Kindheit, seinen bisherigen Straftaten und seiner Beziehung zu Frauen zu befragen. Ja, seine leiblichen Eltern hätten ihn windelweich geschlagen, aber dank seiner Adoptiveltern hätte er die schlimme Zeit ganz gut überwunden, wenn nicht sogar fast vergessen. Und das mit den Hühnern, meine Güte, da sei er doch noch ein Kind gewesen. Und wegen des Hundes, da hätte man ihm keine Straftat nachweisen können, wie denn auch, das mit dem Benzin und dem Feuer sei ein ganz blöder Unfall gewesen, und das Vieh hätte doch nur deswegen überlebt, weil er selbst den Brand mit einem Eimer Wasser gelöscht hatte. Und sein Verhältnis zu Frauen? Da solle die Polizei nur mal im Hotel nachfragen. Alle Mädchen, die eine rote Bombe bekämen, wenn sie seinen Namen hörten, wären schon mal mit ihm im Bett gewesen. Aber das wolle man doch nicht allen Ernstes tun, oder?
Sympathisch fand Wencke Hanno Thedinga keinesfalls,auch wenn man ihm sein flapsiges Machogehabe aufgrund seines netten Äußeren vielleicht verzeihen konnte. Dennoch verstand sie, dass Axel unter diesen Umständen eher an das Naheliegende glauben wollte.
«Wenn es tatsächlich so passiert ist, Axel, wenn wirklich Gernot Huckler wieder einmal schneller war als ich, wenn ich ihm durch meine beschissene Bauchdenkerei einen Vorsprung verschafft habe, dann …»
«Was dann?»
Axel blieb stehen und starrte sie an. Sie waren gerade in einer Talsohle zwischen zwei Dünen angekommen, als erste dicke Tropfen in den Sand fielen und auf Wenckes T-Shirt dunkle Punkte hinterließen.
«Dann schmeiß ich die Sache.»
«Den Fall?»
«Den Job.»
«Quatsch.» Er griff nach ihren Händen. Machte er das wirklich? Wencke schaute erstaunt an sich herab, aber selbst ihr skeptischer Blick hielt Axel nicht davon ab, seine Finger mit den ihren zu verschränken.
«Kein Quatsch. Was soll das denn noch? Ständig laufe ich mit offenen Augen gegen Wände, weil ich meine, dort eine sperrangelweit geöffnete Tür zu fühlen. So arbeitet doch keine gute Kommissarin.»
«Wie kommst du darauf?»
«Du hast es mir selbst schon tausendmal vorgeworfen, falls du dich erinnerst.»
Seine Hände rutschten bis zu ihren Ellenbogen und wischten zärtlich ein paar Regentropfen weg. «Wencke.»
Es war keine Frage und keine Aufforderung. Er sprach einfach nur ihren Namen aus. Aber noch nie hatte so ein besonderer Ton darin mitgeklungen. Was war los?
«Lass uns weitersuchen.» Wencke machte Anstalten, sichvon ihm abzuwenden. Es tat weh, wenn er sie so festhielt. Nicht an den Armen. Eher im Herz.
«Ich suche doch schon wie ein Verrückter.»
Wencke schaute ihn verständnislos an.
«Ich suche nach Worten, die dich von diesem Unsinn abbringen sollen.»
«Es ist kein Unsinn. Sag mal, Axel Sanders, wie blind bist du eigentlich? Ich fühle mich nicht mehr wohl in meiner Haut. Jeden Morgen wache ich auf und habe das Gefühl, nicht das Richtige zu tun. Keine richtige Mutter zu sein, keine richtige Kripobeamtin, keine richtige Kollegin … und vor allem keine richtige Frau.»
Wenckes Herz randalierte. Da hatte sie gerade etwas über die Lippen gebracht, was sie sich
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