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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Stunden den feuchten Boden des Brunnens erreicht hatte. Das Jammern und Wimmern war mit jeder Stufe lauter geworden. Dass es sich dabei nicht um ein junges Mädchen handeln konnte, war ihm schnell klar geworden, zu schrill und zu unmenschlich waren die Laute gewesen. Als sein Fuß den Grund erreicht hatte, waren urplötzlich scharfe Krallen in seine Hose gefahren, ein Biss in die Hacke hatte ihn aufschreien lassen. Mit dem freien Fuß hatte er nach dem Angreifer getreten, bis dieser von ihm abließ. Hektisch war Gernot nach oben geflüchtet, hatte gewartet, bis er selbst sich wieder beruhigte und auch das Wesen da unten Ruhe gab. Als er wieder einigermaßen atmen und klar denken konnte, hatte er dann auch den Geruch wahrgenommen: Kot und Urin. Katzenurin! Und nach etwas Fleischigem hatte es gerochen. Tierfutter?
    Die Erkenntnis, dass Hanno Thedinga in diesem feuchten Loch ein Tier eingesperrt hatte, welchem er zwar die Freiheit und das Tageslicht verwehrte, das er aber mit Futter am Leben hielt, diese Erkenntnis war Gernot beinahe grausamer erschienen als die Tatsache, dass er selbst hier gefangen war. Doch in alle Verzweiflung mischte sich auch die Erleichterung, dass es kein Mädchen gewesen war, das ihn am Brunnenboden erwartet hatte. Es bestand also noch Hoffnung, vielleicht, bestimmt   …
    Mittlerweile stand das Wasser zu hoch für das Tier. Wie hätte Gernot es retten können, wenn jeder Versuch ihm schmerzende Krallenhiebe einbrachte? Zehn Minuten hatte der Kampf der Katze gedauert, dann hatte das Regenwasser gesiegt.
    War er nun das nächste Opfer der sich ausbreitenden Nässe?
    «Es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass   …»

31.
    Wild Rose
(Apfelrose)
    Botanischer Name: ROSA CANINA
    Die Blüte gegen Resignation, Frustration und Apathie
     
    Es war mitten in der Nacht. Wencke hatte noch nicht eine Sekunde geschlafen, und sie wusste, der Versuch, die Augen für einen Moment entspannt zu schließen, wäre zwecklos. Hinter ihren Schläfen bohrte und dröhnte es, als würde eine Horde Bauarbeiter ihre Schädeldecke neu asphaltieren. Um kurz nach drei stand sie schließlich auf, zog die Jeansjacke über und verließ das trostlose Personalzimmer der Polizeidienststelle. Da drinnen war es zu eng.
    Axel schlief im Zimmer nebenan. Sie lauschte an seiner Tür und hörte ihn leise schnarchen. Wencke verstand nicht, wie er jetzt schlafen konnte. Er hätte ebenso aufgewühlt sein müssen wie sie.
    Das Gewitter hatte sich entfernt, dafür war der Regen stärker geworden. Aber das war ihr egal. Nichts würde sie davon abhalten können, jetzt einen ausgiebigen Spaziergang zu machen. Vielleicht half ein bisschen Seeluft gegen den Druck im Kopf, eine frische Meeresbrise gegen den Gedankensturm. Schaden konnte es nicht.
    Die ohnehin schon schmale Straße verengte sich und wurde zu einem Fußweg, der laut Schild Slurpad hieß und zum Hauptstrand führte. Dünensand und Regen vermengten sich dort zu einem Brei, der die Pflastersteine bedeckte. Wenckes Schuhe wurden nass. Sie zog sie aus und ging barfuß weiter. Egal. Alles war egal.
    Was war passiert?
    Axel hatte sie geküsst, freiwillig und im voll zurechnungsfähigen Zustand.
    Doch darüber wollte sie nicht nachdenken. Es gab nichts, worüber sie sich hier den Kopf zerbrechen sollte. Axel war mit Kerstin verlobt, und es gab tausend Gründe, warum er hervorragend zu dieser Frau passte. Er war ein vernünftiger, besonnener, rationaler Typ. Morgen früh würde er den Kuss bereuen und sich an all die Situationen erinnern, in denen er und Wencke sich spinnefeind gewesen waren. Feuer und Wasser. Tag und Nacht.
    Aber niemals Frau und Mann.
    Sollte sie es also dabei belassen? Sollte sie versuchen, eine halbwegs gute Kriminalbeamtin zu sein? Jein. Die Drohung, den Job an den Nagel zu hängen, wenn sich Gernot Huckler als Täter herausstellen sollte, war ihr ernst gewesen. Und selbst wenn ihre Intuition sie nicht im Stich gelassen hatte und ein anderer, zum Beispiel Hanno Thedinga, der Mörder war, auch dann sollte sie vielleicht über eine neue Perspektive nachdenken. In Aurich bleiben konnte sie ohnehin nicht, wenn Axel einen Ring am Finger trug, auf dessen Innenseite
Kerstin
eingraviert war. Ja, genau das war es, was sie vom Schlafen abgehalten hatte. Die Erkenntnis, dass sie hier und mit diesem Fall an der Endstation angekommen war.
    Sie würde herausfinden, wer Allegra Sendhorst und Marina Kobitzki auf so scheußliche Art und Weise hatte sterben lassen. Und dann würde sie

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