Die Blütenfrau
selbst noch nie in dieser Klarheit eingestanden hatte. Sicher, eine Ahnung davon hatte sie schon gehabt. Aber Axel Sanders wäre trotzdem der Allerletzte, dem sie sich offenbaren wollte. Nur rückgängig zu machen war das Gesagte jetzt nicht mehr. Sie hörte sein trockenes Schlucken.
«Du bist die richtigste Frau, die ich kenne.»
«Und für wen?»
«Für mich.»
«Das sind ja ganz neue Töne. Wie willst ausgerechnet du das denn überhaupt beurteilen, ob ich richtig bin oder falsch?»
«Na hör mal, Wencke Tydmers. Ich denke, ich kenne dich ziemlich genau. Vielleicht besser als jeder andere.»
«Womöglich noch besser als ich mich selbst?» Sie lachte mit etwas zu bitterem Nachklang.
Doch Axel verzog keine Miene. Er wollte die Situation nicht bagatellisieren und duldete keinen Sarkasmus. Das hätte alles irgendetwas weniger ernst gemacht, als es in Wirklichkeit war. Der Regen wurde stärker, machte sie beide nass.«Ich würde nie an dir zweifeln, Wencke, eben weil ich dich besser kenne, als du dich selbst. Aber wundert dich das?»
Wencke hielt den Atem an. Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
«Überleg doch mal, wir haben zusammengelebt. Unter einem Dach, ganze drei Jahre lang, und es war nicht die schlechteste Zeit, denke ich. Und wir machen zusammen diesen Job hier. Was haben wir alles gesehen … Damals, als du dich ein bisschen in diesen Hotelkoch verliebt hast …»
«Damals konnten wir uns nicht ausstehen.»
«Aber wir waren uns schon irgendwie ziemlich wichtig. Immerhin haben wir uns ein paar Jahre später, als ich auf Juist war und dieser Antiquitätenhändler ums Leben gekommen ist …»
«Was haben wir da?»
«Uns geküsst. Und in einem Bett übernachtet.»
«Da war ich total betrunken.»
«Und auf Norderney standen wir schon mal gemeinsam im Regen, erinnerst du dich?»
«Wolltest du mich da nicht suspendieren lassen?»
«Wir haben Emil mehr oder weniger zusammen aufgezogen. Sein erstes Wort war Mama, sein zweites Attel, weil er kein x aussprechen konnte.»
«Sein zweites Wort war Auto.»
«Blödsinn.»
Was sollte das hier? Was hielt Axel Sanders für eine ausschweifende Rede? Versuchte sich dieser Mann gerade in Gefühl? Und wie konnte sie das stoppen? Wollte sie es überhaupt stoppen?
Der Platzregen, der sich jetzt über ihnen ergoss, wäre sicher Grund genug gewesen, Reißaus zu nehmen, und trotzdem blieb sie wie angewurzelt stehen.
«Lag da nicht vor zwei Tagen so ein schicker hellblauerUmschlag, so ein ganz beschissener Brief in meinem Büro?» Mein Gott, das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt, dachte Wencke.
«Das war ein Fehler», gab Axel kleinlaut zu.
«Was? Dass du mich zu eurer Hochzeit eingeladen hast? Oder dass ihr diese kitschige Farbe und dieses saublöde Sträflingsfoto von euch ausgesucht habt?»
Nach einer Sekunde perplexen Schweigens lachte Axel auf. «Du findest es albern, stimmt’s?» Seine Hände wagten sich noch weiter hinauf zu ihren Schultern. Es gab keine andere Erklärung für diese Bewegung als die, dass er gerade dabei war, sie zu umarmen.
«Axel, das Bild ist so albern, dass es jedem Eingeladenen das Recht gibt, ohne schlechtes Gewissen dem großen Tag fernzubleiben.»
«Du wirst nicht kommen.» Wencke fiel auf, dass Axel den Satz nicht als Frage formuliert hatte.
«Emil wird an dem Tag eine schlimme Erkältung bekommen, das weiß ich jetzt schon. Mit unerklärlichem Fieber, hochgradig ansteckend.» Wenckes Schulterblätter kribbelten, als wüchsen Flügel heraus, bloß weil seine Finger über das nasse T-Shirt streichelten.
«Auf meiner Hochzeit will ich niemanden lieber dabeihaben als dich und Emil.»
Wencke schnaubte. «Das lass Kerstin lieber nicht hören.»
«Ich sagte: Auf meiner Hochzeit …»
Es war so weit: Seine Hände hatten sich hinter ihr geschlossen, er umfasste sie vollständig. Jeder, der sie nun beobachten würde, wäre sicher, ein Liebespaar im Regen vor sich zu sehen. Waren sie ein Liebespaar? Seit wann eigentlich? Hatte die Blütenfrau nicht heute Morgen schon etwas davon gesagt? Von Spannungen und Erotik und einer gefährlichen Mischung, die sie beide abgaben?
Aber eigentlich, dachte Wencke, eigentlich weiß ich es doch schon seit ganz vielen Jahren.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, Axel beugte sich zu ihr herunter. Fünfundzwanzig Zentimeter konnten furchtbar weit sein.
«Wenn ich dich richtig verstanden habe, Axel Sanders, dann …»
«Tu doch nicht so, als ginge es hier um den Verstand. Du
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