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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ein Erwachsener das dann ausnutzt   …» Seine Augen schlossen sich einen Moment. «Man macht alles kaputt. Man macht vor allem die Kinder kaputt! Ob man sie tötet oder nicht, sie sind   … zerstört.»
    «Und was war nun an diesem Morgen? Warum sind Sie allein aufgebrochen?»
    «Ich dachte gleich, bei dieser Allegra, da steckt Hanno hinter. Er war frustriert, weil ich ihm   … weil ich ihm den Umgang mit Griet untersagt habe   … Aber ganz sicher war ich nicht. Also hab ich in Esthers Praxis die Patientenkarteien durchsucht und alles über Hanno Thedinga gelesen. Das war ein Vertrauensbruch, verstehen Sie? Bei meiner Frau in den Akten schnüffeln   … Sie sollte nichts davon erfahren. Ich hatte Angst, sie wirft mich raus. Ich hatte sowieso Angst   … um meine Ehe, um meine Stieftochter   …» Wieder hustete er, «…   auch um mich selbst. Dass ich das alles nicht schaffen kann.» Dann schwieg Gernot Huckler.
    Wencke dachte schon, er sei vor Erschöpfung eingeschlafen. Doch er flüsterte noch einen weiteren Satz, ganz leise, kaum zu verstehen, und wahrscheinlich nicht mehr bei vollem Bewusstsein. «Ich   … hätte   … sie so gern   … gerettet.» Dann kippte sein Kopf zur Seite.
    Der Arzt griff nach Hucklers Handgelenk und fühlte den Puls. Er drehte an der Apparatur, die gerade die wichtigsten Nährstoffe via Infusionsschlauch in Hucklers Körper beförderte. «Das sollte wirklich reichen, Frau Kommissarin. Ich muss Sie bitten, das Séparée zu verlassen.»
    «Wann, meinen Sie, ist er vernehmungsfähig?», fragte Axel.
    Der Arzt schien genervt zu sein. Statt einer Antwort schob er beide durch den Vorhang. Einige Passagiere hatten sich dort versammelt und stürzten sich jetzt mit einer Mischung aus Sensationsgier und echter Betroffenheit auf Wencke.
    «Ist da drinnen der Mörder?», fragte eine ältere Dame, die eine Tageszeitung in der Hand hielt, auf deren Titelblatt ein Foto der lebendigen Marina Kobitzki neben einem überdimensionalen Kreuz abgebildet war.
    «Der Kinderschänder?   … Ist er da drin?»
    Axel wollte Wencke fortziehen, Richtung Oberdeck. Frische Luft unter freiem Himmel würden sie gut gebrauchen können. Aber sie blieb kurz stehen, positionierte sich wie eine Pressesprecherin und sagte laut: «Bitte geben Sie Ruhe. Hinter der Absperrung liegt ein schwer verletzter Mann. Er hat sein Leben riskiert, weil er dem Mädchen helfen wollte. Aber leider kam er zu spät.»
    Sie hoffte, Huckler hatte ihre Worte gehört und der Sinn ihrer Aussage erreichte ihn irgendwo in den Tiefen der Bewusstlosigkeit. Dann folgte sie Axel.
    Das Gewitter der vergangenen Nacht hatte die Luft merklich abgekühlt. Obwohl die Sonne schien, hielten sich nur wenige Menschen an Deck auf. Schuld daran war ein kühler Wind, der über das Wattenmeer fegte und dabei an den Haaren, den Mänteln und Mützen zerrte. Ein Mann gab gerade das Zeitungslesen auf, weil die Böen ständig die Seiten verblätterten. Hinten beim Schornstein, wo der Schiffsmotor spürbar unter Deck vibrierte, saß niemand. Wencke und Axel setzten sich auf eine Kunststoffbank und blickten eine Weile auf die Wattenlandschaft. Kormorane saßen auf der Sandbank und trockneten ihre Flügel, bevor sie zum nächsten Raubzug in das graue Wasser tauchten. Auf dem trockengefallenen Wattboden türmten sich kleine Kleckse, spiralenförmige Sandhaufen. Es waren pittoreske Kunstwerke der Wattwürmer, die immer nur bis zum nächsten Hochwasser überlebten.
    Wencke zog die Jeansjacke dichter. Ihr war kalt. In der Innentasche knisterte etwas, sie zog es heraus. Es war der Brief aus Hannover, der vor drei Tagen auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte. Endlich fand sie Zeit zu lesen, was die oberste Landespolizeibehörde – so viel verriet nach dem Öffnen schon mal der Briefkopf – von ihr wollte.
    «Was ist das?», fragte Axel, der dicht neben ihr saß und ein paar Mal probiert hatte, auf das Blatt zu schielen. «Eine Beförderung?»
    Wencke überflog die Zeilen mehrmals, denn sie konnte nicht glauben, was da stand. Und das hatte sie die letzten Tage mit sich herumgetragen! Ausgerechnet in einer Zeit, in der sie stark an sich gezweifelt und nach neuen Wegen gesucht hatte, ausgerechnet da hatte sie die ganze Zeit diese Nachricht bei sich gehabt.
    «Wencke, was ist los?»
    Sie reichte ihm wortlos den Brief.
    «Wow!», sagte Axel nach wenigen Sekunden. «Das gibt’s doch nicht. Das ist ja Wahnsinn!» Er freute sich für sie. Seine Augen glänzten für seine

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