Die Blume der Diener
Lady Flower folgen und sich in schwarze Gewänder hüllen.« Lady Dumbletans Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern herab. »Es heißt, der König sei außer sich vor Wut, weil die Lady nun ihren toten Gemahl betrauert und mit Seiner Majestät nur in der Gesellschaft anderer sprechen will. Es heißt, dass sie Streit hatten.«
»Also wird la Haulte Princesse Lissaude schließlich doch noch Königin«, meinte Grisel, deren ganzer Ehrgeiz darin bestand, erste Kammerdienerin oder vielleicht Gewandmeisterin der jungen Königin zu werden. »Ich muss mich in Gallimandisch üben, denn allem Anschein nach spricht sie nur sehr wenig Albisch. Ich bin gespannt, ob sie wirklich so schön ist, wie man sagt.«
»Wenn Jugend Schönheit bedeutet, ist sie sehr schön«, sagte Lady Tilney trocken. »Prinzessin Lissaude ist erst siebzehn. Rosamond de Frise hat mir überdies geschrieben, dass Lissaude unschuldig, niedlich und sehr verliebt ist. Sie wird dem König zweifellos eine gute Frau sein. Er ist lange genug allein gewesen.«
»Unser früherer Kammerherr war ihm Gesellschaft genug, solange der König ihn als Mann angesehen hat«, bemerkte Lady Dumbletan. Die anderen Ladies schauten sie entsetzt an und sie errötete heftig. »Aber der ganze Hof weiß doch, dass Seine Majestät Master Flower inniger geliebt hat als einen Bruder. Oje«, meinte sie und beugte das scharlachrote Gesicht über den Stickrahmen. »Eure Ladyschaften wissen, dass ich nichts Böses sagen will, aber meine Worte klingen immer schief.«
Lady Tilney schüttelte den Kopf über ihrem Gobelin. »Ihr seid eine Närrin, Isabel, aber nicht Ihr, sondern Eure Zunge ist der Verräter. Wir alle wissen, was Ihr sagen wollt. Doch manche bei Hofe könnten in Euren Worten das Echo ihrer eigenen Gedanken hören. Wir sollten darum beten, dass unsere kleine Königin nicht an einen König gerät, der lieber ein unfruchtbares Schwert schwingt als ein fruchtbares Feld beackert.«
Falls Lady Tilney tatsächlich Gebete gen Himmel schickte, blieben sie unerhört. Denn als Lady Flower an den Hof gekommen war, hatte sie dem König nicht nur William, sondern auch seine Einfalt genommen. Lionel konnte sein Verlangen und seine tiefsten Gefühle nicht mehr verbergen. Die Liebe, nach der er sich sehnte, trug den Namen William: Sie war nicht auf Elinor Flower als Frau oder Mätresse gerichtet, sondern nur auf den weisen, standfesten und männlich hübschen William.
Noch verwirrender war für Lionel, dass nicht mehr nur William diese Flamme in ihm entfachte. Plötzlich war sich Lionel der warmen, festen Hände seines Kammerdieners, der ihn morgens anzog und abends auskleidete, unangenehm deutlich bewusst. Er fand mehr Vergnügen denn je an der glühenden, geballten Schönheit der Edelmänner auf dem Übungsplatz, an der anschaulichen Stärke eines muskulösen Soldatenarms oder an der unerwarteten Weichheit eines entblößten Halses. Es hatte ihn früher bereits danach verlangt, all das zu berühren, doch nie zuvor hatte ihn dieses Sehnen bei wachem Verstand und vollem Bewusstsein ereilt.
Früher hatte er sich selbst getäuscht; nun hatte Lionel Angst, sich die Wahrheit einzugestehen. Wiederholt suchte er jede Handlung und jede Freundschaft nach dem Makel unnatürlicher Lust ab. Konnte er es noch wagen, Ringkämpfe abzuhalten, sich mit Lord Molyneux an der Lanze zu messen, mit Sir Edward Sewale zu trinken und diesem oder jenem auf die Schulter zu klopfen oder jemanden bei der Hand zu nehmen, ohne sich selbst dabei zu betrügen? Nie zuvor hatte Lionel seine Gefühle so gut verstanden und nie war er so furchtsam gewesen. Wie konnte Albia gesund sein, wenn es von einem Mann regiert wurde, den es nach anderen Männern gelüstete?
Während der langen Nachtwachen brütete Lionel über dem Verzeichnis der Könige von Albia – seiner legendären und hoch geehrten Vorfahren. Der erste war König Aquin der Capniter gewesen, dann kamen König Peter der Gute, Hugh Langarm, Edgar der Drache, der Cygnesbury gegründet hatte, König Edmund der Weise und sein Sohn Nicholas Massenschlächter, der ohne Nachkommen starb und den Thron seinem Neffen, dem Magier John überließ. Dem Magierkönig folgte John der Zweite, genannt der Heilige, dann Stephen Ohnegeist und König Geoffrey der Ehrliche, Lionels Vater. Zehn Könige waren es und jeder besaß seinen eigenen Titel und seinen eigenen Beinamen, der ihn der Nachwelt beschrieb. Der Beiname ›Ohnegeist‹ war schon äußerst ehrenrührig.
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