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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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wie sie über die Wiesen ausschwärmen und das Tor des Korbes umschwirren, weiß er, dass er auf Honig hoffen darf. Lionel hatte bisher keinen Gedanken an die Haushaltsführung des Schlosses von Cygnesbury verschwendet. Nun sah er seine mit Platten, Möbeln und Leinen beladenen Diener durch die Hallen summen und versuchte zu glauben, dass am Ende all dieser Geschäftigkeiten das Wohlwollen des Botschafters Tellemonde stehen würde.
    Dem König fiel der Glaube daran leichter, wenn er nicht allzu genau hinsah; daher stürzte er sich in die Leibesertüchtigung. Er ritt täglich mit seinen Günstlingen zur Falkenjagd und forderte sie heraus, sich mit ihm im Übungshof zu messen. Er bearbeitete Sir Edmund Sewales Schild mit einem hölzernen Schwert, bis der junge Ritter lachend um Gnade bat, und kämpfte mit der Knüttel gegen Lord Molyneux.
    Eines Morgens befanden sich der König und Lord Molyneux draußen im Übungshof. Sie waren bis auf Hemd und Hose entkleidet und droschen mit ihren Knütteln aufeinander ein, während der Staub ihnen in Wolken um die Füße wirbelte. Ihre Blicke hatten sich herausfordernd ineinander verbohrt. Sie umkreisten sich, machten Finten, zielten mit den langen Stöcken auf den Bauch, den Kopf oder die Beine des Gegners und taten ihr Möglichstes, um den anderen in den Staub zu werfen. Lord Molyneux war kein so beherzter Kämpfer wie Lionel, doch er traf mehrmals die Rippen seines Monarchen. Bei der zweiten Berührung versetzte der König dem jungen Lord einen geschickten Schlag hinters Ohr, der ihn fällte und den Kampf beendete.
    Der König lachte herzlich, als er sah, wie Lord Molyneux breitbeinig im Staub des Übungsplatzes saß und den Kopf schüttelte, in dem ein ganzer Bienenschwarm summte. »Guter Kampf, Mylord!«, rief Lionel; dann reichte er ihm die königliche Hand und half ihm aufzustehen, wonach er ihn brüderlich umarmte. Lionel fühlte sich angenehm erregt und erhitzt durch diese Übung und rief nach seinen Pagen, die ihn in seine Gemächer begleiten sollten.
    Der kürzeste Weg vom Hof zu den königlichen Gemächern führte an dem Prunkzimmer vorbei, in dem Botschafter Tellemonde untergebracht werden sollte. Lionel sah, dass die Tür halb offen stand, und hielt inne, um einen Blick hineinzuwerfen. Einen Augenblick lang wollte sein Verstand nicht glauben, was seine Augen ihm mitteilten, denn wo er Glanz und Pracht zu sehen erwartet hatte, herrschte völlige Verwahrlosung. Die Bettstatt, die Tische, die Wandbehänge, ja sogar die Kerzenleuchter und Wasserkrüge waren aus dem Raum entfernt worden; mit Ausnahme eines Haufens halb verrotteter Binsenmatten und einem ungeheuerlichen Spinnennetz, das mit den Hülsen einer ganzen Armee von Fliegen gesprenkelt war, stand das Zimmer vollkommen leer.
    Lionels Bauch zuckte vor Wut. Er stürmte von dem Prunkzimmer fort und lief durch die Hallen des Schlosses, die er nun mit neuen Augen sah. Überall hatte man die Wandbehänge von den Mauern abgenommen und Truhen, Stühle und geschnitzte hölzerne Tische waren entfernt worden. Bilder, Kissen, juwelenbesetzte Tabletts und Krüge – all jene Gegenstände, die dazu dienten, die Düsterkeit einer zugigen alten Festung abzumildern – waren verschwunden. Rasend vor Zorn kehrte Lionel zu seinen Gemächern zurück und schickte Thomas Frith mit dem Befehl los, den Tafelmeister William Flower unverzüglich vor den König zu bringen.
    In der breiten Fensterlaibung des privaten Gemachs stand ein langer Tisch, an dem die Könige von Albia seit unvordenklichen Zeiten ihre Staatsgeschäfte erledigten. Die königlichen Gemächer lagen im ältesten Teil des Schlosses und dieses Fenster ging auf den Hof hinaus und überblickte das Vordertor, die Lagerhäuser und eine kleine Herde königlicher Hühner, die im Staub nach Insekten scharrten. In seiner schäumenden Wut starrte Lionel auf dieses vertraute Bild, ohne es wahrzunehmen. Er war in seiner Wahl des Tafelmeisters allzu launisch gewesen. Was konnte ein namenloser Küchenjunge schon über das Protokoll und die Unterhaltung von Würdenträgern wissen? Sir Andrew war vielleicht ein Trunkenbold und Lord Roylance ein kindischer Greis gewesen, aber bei Sir Andrew und Lord Roylance hatte es sich um Edelmänner gehandelt, welche ihre Verpflichtungen Lionel gegenüber gekannt hatten. Selbst Lord Roylance hatte dem König jedesmal seine Pläne für ein Fest oder Turnier vorgelegt und die königliche Zustimmung abgewartet, bevor er zur Tat schritt. Dass der König nur

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