Die Blume der Diener
langweiliger Text und er wolle ihr nicht daraus vorlesen, auch wenn sie ihn oft darum bat. Also blätterte sie selbst darin herum und starrte die Pläne und Zeichnungen an, als ob die Kraft ihres Blicks die Seiten dazu zwingen könnten, ihren Sinn zu offenbaren. An einer Stelle war ein Irrgarten abgebildet, den der gute Bauer in einer fernen Ecke seines Gartens angelegt hatte – »zu Spiell, Wachsthum unnt Vergniegen.«
»Warum hat er das gemacht?«, fragte Elinor Sir William und zeigte ihm den Plan. »Was bedeutet das? Was steht da geschrieben?« Halb lachte sie, halb bettelte sie.
Ihre Wangen waren so rosig, dass Sir William beinahe auf den Gedanken gekommen wäre, seine Frau sei verlegen.
»Gar nichts bedeutet das, meine Süße, ’s ist ein Irrgarten, eine Art Spiel, das die Boresier zur Saat- und Erntezeit spielen. Eine Jungfer in Weiß steht in der Mitte und alle Jungen versuchen, als erster bei ihr zu sein und sie zu küssen.« Er sah, wie Elinors Mund zuckte, als ob sie lachen wollte. »Was ist denn los, Weib?«
»’s ist Zauberei, Gemahl – nichts, das man vor den Männern ausspricht«, erklärte sie geziert, doch als er ihr das Buch fortnehmen wollte, lachte sie und fuhr fort: »Wenn eine Frau sich ins Kindbett legt und das Kind trotz aller Anstrengungen nicht kommt, schreibt die Hebamme diese Figur« – sie deutete auf den Irrgarten -»in den Staub unter dem Bett und zeichnet den Weg von der Mitte nach außen. Wenn die Hebamme stark genug ist, geht es der Frau rasch besser. Mistress Gittings hat mich das gelehrt. Heutzutage wendet man es nur noch selten an.«
Inzwischen war Sir William noch stärker errötet als seine Frau, denn er ertrug keinerlei Gerede über Wehen und Geburt – nicht einmal, wenn es nur um Kühe ging. Er hatte sich als guter, sorgsamer und hart arbeitender Landmann erwiesen, doch wenn er nicht auf dem Feld oder im Stall war, las er Gedichte und höfische Liebesepen, keineswegs aber Texte über das bäuerliche Handwerk.
Gegen Ende seines Dienstes bei Lord Maybank hatte Sir William einen Monatslohn für das Abschreiben von vier solchen Gedichten ausgegeben, die danach in feines Leder gebunden worden waren. Von diesen gefiel Elinor das Gedicht mit dem Titel ›Margarite‹ am besten. ›Sir Piers und der scharlachrothe Küning‹ fand sie albern, »denn kein richtiger Mann würde seine Frau solchen Gefahren aussetzen, gleichgültig, ob er von scharlachroter, grüner oder azurblauer Hautfarbe ist.« Sie schätzte die ›Unterredung der Vieren Graden‹, doch der auf gallimandisch verfasste ›Le Lais de Joyeau‹ verwirrte sie. Sir William versprach ihr, sie im nächsten Winter auch diese Sprache zu lehren. Darüber lachte sie nur und erwiderte, Albisch belaste die Verstandeskräfte einer gewöhnlichen Frau bereits stark genug. Sie fragte sich, wie gelehrte Männer nachts schlafen konnten, wo doch so viele Sprachen in ihrem Kopf miteinander kämpften.
Nach und nach lernte Elinor, die Wörter zu erkennen, die ihr Gatte vorlas, und bald konnte sie einige Abschnitte aus dem boresischen Tagebuch ohne fremde Hilfe lesen. Darunter befand sich auch das Rezept für eine Wundsalbe aus Mausohren und Immenblatt.
Als Elinor zum ersten Mal schwanger wurde, hatte Sir William den einen Teil seines Versprechens erfüllt und ihr das Lesen beigebracht. Der zweite Teil – das Schreiben – musste bis nach der Ernte und der Wintersaat warten. Er wurde immer wieder verschoben, bis die Weihnachtszeit herangekommen war.
Am Weihnachtstag gaben sie ein großes Fest. Alle Pächter Sir Williams, ihre Frauen und Kinder, Pater Mark und dessen Adlatus John drängten sich in der kleinen Halle des Hauses und verspeisten zusammen einen frisch geschlachteten Ochsen, eine köstliche Auswahl an Eintöpfen und gefüllten Pasteten, ein Kompott aus getrockneten Früchten und einen großen Weihnachtskuchen. All das hatte Lady Flower mit geschickter Hand selbst zubereitet. Tom, Bet, Hai, Jack und Mary saßen gemeinsam mit der Lady und ihrem Gemahl auf der Estrade und fanden diesen Ehrenplatz ein wenig beklemmend. Sir William spürte ihr Unbehagen und bemühte sich, sie mit Freundlichkeit und gutem Rotwein zu beruhigen. Der Wein stammte von seinem Vater, Sir Henry Flower, und war ein Hochzeits- und Weihnachtsgeschenk, wie auch ein wunderbarer Gobelin, der den Triumph der Judith darstellte und nun hinter dem Hochtisch hing.
Von seinem erhöhten Sitz aus versprühte Sir William gute Laune über seine Frau, ihre
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