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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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Familie, seine Pächter, seinen Haushalt und auch über die Girlanden aus Stechpalmen und Wacholder, die an den Steinwänden hingen. Alles war gut. Es gab reichlich zu essen und der Wein war ausgezeichnet. Sir William hatte sogar drei Musiker herbeigeschafft, die auf der Galerie eifrig an ihren Geigen sägten, und einen Sänger bestellt, der die Lieder ›Des Keilers Kopf‹ und ›Ich sah drei Schiffe‹ vortrug. Als das Festmahl vorüber war und eine Mummenschanztruppe erschien, die das Spiel vom Zweiten Hirten zum Besten gab, drückte Sir William die Hand seiner Frau und empfand sich als der zufriedenste Mann in ganz Albia. Nicht einmal König Geoffrey konnte eine größere Gastfreundschaft gewähren.
    Nachdem die Komödianten ihr Spiel beendet und sich zum Weihnachtsbier niedergesetzt hatten, schlug Sir William vor, Blindekuh zu spielen. Er nahm für sich das Recht des Spieleleiters in Anspruch, verband Elinor die Augen mit einer Serviette und führte sie in die Mitte der Halle. Sie stolperte mehrmals, während sie ihm folgte. Er tanzte vor ihr her und hielt sich immer knapp außerhalb ihrer Reichweite, bis er bei der Treppe angekommen war. Dort nahm er die immer noch blinde Elinor in den Arm und trug sie nach oben in das Privatgemach. Er stellte sie lachend auf die Beine, drehte sie um ihre eigene Achse und sang dabei:

    »Ein Geschenk, ein Geschenk, ein Geschenk für dich;
    Ein Kuss, ein Kuss, ein Kuss für mich.
    Öffne die Augen, sei dem Nest ein Dieb.
    Küsse den Jüngling, den du habest lieb.«
    Mit großem Schwung zog er ihr das Tuch von den Augen und führte sie zu einem Tisch, den er vor dem Feuer aufgestellt hatte. Mit der Ungeduld eines kleinen Jungen sah er zu, wie sie in Erstaunen ausbrach und die auf dem Tisch ausgebreiteten Geschenke berührte. Das eine war ein Wachstäfelchen mit einem spitzen hölzernen Griffel. Das andere war ein Schachbrett, auf dem sich je sechzehn kleine Figuren wie Armeen auf einem karierten Feld gegenüberstanden. Die eine Hälfte der Figuren sah aus wie Albier; sie trugen weiße Rüstungen und hatten ein rotes Kreuz auf der Brust. Ihnen gegenüber stand eine Armee aus Mohren mit Krummschwertern in den ebenholzfarbenen Händen.
    »Das eine Geschenk ist für dein eigenes Vergnügen«, meinte Sir William und deutete auf die Wachstafel. »Das andere dient auch meinem Vergnügen. Das Spielbrett und die Figuren stammen aus Kelusham. Ich habe dieses Spiel oft im Felde mit Lord Maybank gespielt. Es heißt Schach und ist ein soldatisches Spiel. Obwohl ich jetzt Landmann und Viehzüchter bin, steckt doch immer noch ein Soldat in mir.«
    Elinor reckte sich ihm entgegen und sie küssten sich im Licht des Kaminfeuers. Sir William schaute über die Schulter seiner Frau auf den doppelten Schatten, den sie beide warfen. Er sah diesen Schatten als das Symbol des Ehestandes an: Mann und Frau, die sich gegenseitig Halt geben und zwischen sich die Frucht ihrer Vereinigung tragen – ihr Unterpfand für den Fortbestand des Lebens, des Landes und der Liebe. Er seufzte und hielt sie fester. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und küsste ihn auf das Ohr.
    »Du hast mir königliche Geschenke gemacht, mein Gemahl«, murmelte sie. »Sind sie zum Gebrauch bestimmt oder nur zum Anschauen?« Elinor traf immer den Kern der Sache, dachte Sir William. Er lächelte wehmütig, ließ sie los und kratzte ihren Namen in das weiche Wachs der kleinen Tafel. Er führte ihr die Hand, als sie die Buchstaben nacheinander kopierte, und danach brachte er sie zu Bett. Ihre Gäste konnten sich unten allein belustigen, wie und solange sie wollten.
    Den Rest des Winters hindurch wurde ein Teil des Tages dem Schachspiel und dem Schreiben gewidmet. Zuerst beschwerte sich Elinor darüber, dass der Griffel genauso unhandlich wie eine Nadel war; er rutschte manchmal aus oder wurde krumm. Ganze Stunden verbrachte sie damit, einzelne Buchstaben in das Wachs zu schreiben. Allmählich wurden ihre Finger beweglicher. Sie kopierte nun bereits ganze Abschnitte aus dem boresischen Tagebuch und der ›Margerite‹ – zuerst in Wachs, dann auf einige Fetzen des kostbaren Papiers. Dabei benutzte sie einen Gänsekiel und Tinte, die Sir William aus Ruß und Galläpfeln hergestellt hatte. Es war ein großer Tag, als sie zum ersten Mal ohne jede Hilfe mit ausladenden, wie verstreute Zweige aussehenden Buchstaben in die Tafel ritzte: ›Elinor Floure hat diß geschriben.‹ Es war ebenfalls ein großer Tag, an dem sie erstmals mit einem

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