Die Blume der Diener
wandelten auf den duftenden Pfaden hin und her, zerdrückten Thymian und Kamille unter den Füßen und sprachen über Hexerei und Zauberei, Handel und Regierungskunst.
Abgesehen von den Turnieren und Jagden, empfand Lionel das Regieren bestenfalls als langweilig. Wirtschaftliche Dinge verwirrten ihn, Politik machte ihn ungeduldig. Doch Williams Vorträge verwandelten Handel und Steuern, Prozesse und Zunftrechte in ein verschlungenes, veränderliches Spiel, das dem Schachspiel glich. Natürlich liebte Lionel Albia. Ein guter König liebt sein Land, so wie ein guter Christ seinen Nächsten liebt. Aber Lionels eigentliche Leidenschaft galt Albias Liedern und Legenden, die er mit der Muttermilch eingesogen hatte – des Landes alter Stolz und reiche Vergangenheit. Unter Williams sanfter Anleitung lernte er das gegenwärtige Albia genauso gut kennen.
Zu König Lionels Zeiten hatten Schloss und Stadt außer auf den Handelswegen nur wenig Beziehung zueinander. Gemmenschneider, Seidenhändler, Gerber, Weber, Schmiede und Waffenschmiede, Küfer und Huren hingen zwar, was ihren Lebensunterhalt anging, vom Schloss ab, aber mit Ausnahme der Huren betraten nur wenige das Schloss aus geschäftlichen Gründen. Dennoch lebte Lionel nicht streng getrennt von seinem Volk. Als Prinz hatte er sich oft mit Robin nach Cygnesbury fortgestohlen, um dort zu trinken, die Huren zu besuchen und in stinkenden, verräucherten Tavernen Silberpennies auf Würfelergebnisse zu verwetten. Da Lionel nur die armseligsten und niederträchtigsten seiner Untertanen kannte, hielt er wenig von dem Volk, über das er herrschte. »Schlachtenfutter«, hatte Robin es genannt, »und nur dazu gut, für das Vaterland zu sterben.« Lionel hatte ihm stets beigepflichtet.
Nun besuchte König Lionel Rathäuser und Gerichte und sprach mit Abgeordneten, Kunsthandwerkern und Straßenbettlern. Er lieh ihren Beschwerden sein Ohr und half ihrem Elend ab, falls es in seiner Macht lag. Auf diese Weise lernte er, dass nicht alle gewöhnlichen Menschen Diebe, Schurken, Kuppler oder Draufgänger sind, deren einzig angemessenes Ende in einem Tod auf dem Schlachtfeld besteht. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass seine Untertanen höflich, verständig und schlau waren und den Getreidepreis besser als ihre Lehensherren kannten. Um Cygnesbury heulten die trockenen Winde, doch innerhalb der Mauern waren die Belagerten stark und hoffnungsfroh.
Margaret wurde immer ungeduldiger. Sie hungerte nach Neuigkeiten, nach schmackhaften Bildern von Seuchen und Unzufriedenheit, aber wegen ihres blinden Spiegels konnte sie ihre kümmerlichen Hoffnungen nur mit den pedantischen, unbefriedigenden Berichten ihrer Hausgeister und dem schwindenden Glauben an die Stärke ihres Erzdämons nähren. Aufgrund dieser mageren Kost war Margaret dünn und mürrisch geworden. Sie schrubbte immer wieder bereits blitzblanke Zimmer und schalt ihre Dienerbrisen, bis diese ihre Nähe fürchteten, obwohl sie unkörperlich und unsterblich waren.
Eine weitere Woche zog sich dahin. Ein weiterer Tag kam hinzu und noch einer und Margarets wilde Geschäftigkeit gerann allmählich zu einer aus Furcht und Unentschlossenheit bestehenden Lähmung. Sie verfluchte den nutzlosen Spiegel; sie verfluchte den gehässigen, buchstabengetreuen Gehorsam des Dämons gegen ihren Befehl, er solle erst zurückkommen, wenn er die Nachricht von Cygnesburys Fall brachte. War ihr dämonischer General außer Gefecht gesetzt oder gar vernichtet worden? Befand er sich am Rande des Sieges oder einer Niederlage? Margaret wusste es nicht – sie konnte es nicht wissen – und sie wagte nicht, einen Bericht einzufordern, weil dies ihre Angst offenbaren könnte. Also saß sie reglos auf ihrem Stuhl. Sie war gefesselt von einer stummen Raserei, von einer trügerischen, tiefen Ruhe, die genauso bedrückend und bedrohlich wie ein bevorstehendes Gewitter war. Sie wartete.
Viele Tage später kehrte der Dämon aus eigenem Antrieb zurück und berichtete von seiner vollkommenen Niederlage. Seine Worte schlugen in Margaret ein wie Hagelkörner in dünnes Eis.
»Ich glaubte, du wärst ein mächtiger Dämon«, fluchte sie. Ihre Stimme war brüchig und sie starrte die Füchsin auf ihren Knien an. »Ich hatte geglaubt, du wärst eine niederschmetternde Macht, die Königreiche mit einem Atemzug umwirft. Und jetzt sagst du mir, dass all deine schreckliche Macht nicht einmal einen künstlichen Luftzug in den Straßen der Hauptstadt erzeugen kann. Du
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