Die Blume der Diener
blutigem Licht. Die Bettvorhänge waren zugezogen; im Zimmer war es stickig, kalt und sehr still.
Alyson hielt den Atem an und lauschte. Ein entsetztes Keuchen schnitt durch die Stille; dann knarrte das Bettgestell unter einer unruhigen Bewegung.
»O süßer Jesus, nein, nein!«, kam es sehr sanft. Dann klagend: »O meine Liebe, mein Herz, ewig werde ich dich vermissen«, und dann in einer etwas höheren Tonlage: »Henry, mein Sohn, mein teurer Sohn. Haben sie auch dich getötet und mir nichts gelassen, worin ich dich einhüllen könnte?« Und dann: »O das Blut, das Blut! Mein Bett schwimmt in Blut!«
Diese letzten Worte wurden von einem Schrei begleitet – dem Schrei einer verdammten Seele, der aus Alysons Gedanken jede Glut, jede Neugier und jede Leidenschaft verbannte und nur Entsetzen zurückließ. Im Nu hatte sie den Korridor erreicht. Beinahe hätte sie Ned getreten, der nun mit offenem Mund auf seiner Bettstatt saß. In ihrer Hast schlug sie die Tür hinter sich zu und stolperte bei ihrer Flucht mehrfach über die Falten ihres Mantels. Als sie endlich ihr eigenes Bett sicher erreicht hatte, verbarg sie sich unter den Laken und weinte besinnungslos.
Am nächsten Morgen erwachte Alyson bleich und schwach. Williams Seufzer, seine Angst, seine schrille Stimme, als er schrie: »Das Blut, das Blut!« Das alles hatte ihre Leidenschaft abgekühlt und zerriss ihr das Herz vor Mitleid und Ehrfurcht. Offenbar hatte William einen Sohn gezeugt und sowohl Mutter als auch Sohn in einer einzigen Nacht auf blutige Weise verloren. Der Schmerz eines solchen Verlustes lag jenseits von Alysons Vorstellungskraft. Sie liebte William noch immer und sehnte sich nach ihm, aber ihre Liebe war nun mit Verehrung und Furcht gefärbt – als ob sie einen Heiligen, einen Helden oder eine Legende liebte.
Schweigsam und sanft wie eine Turteltaube kehrte Alyson zu ihrer unterbrochenen Stickarbeit in die Turmstube zurück. Lady Brackton beäugte sie mit zusammengekniffenen Augen und fuhr Lady Dumbletan an, als diese dem Mädchen Vorwürfe wegen seiner seltsamen Launen machen wollte. Lady Brackton erkannte genau, dass Alysons Krankheit nicht abgeklungen war, sondern lediglich eine neue Form angenommen hatte, die ebenso verblüffend und unheilbar wie die vorangegangene war. Seufzend zog sie einen Faden durch ihre Nadel und widmete sich wieder ihrer Handarbeit. Schuldbewusst wünschte sie sich, ihr Bruder Pascourt hätte eine zweite Schwester für die Erziehung seines eigensinnigen Kindes gehabt.
Kapitel Zwei
Am achtzehnten Oktober saß Lionel von Albia in den königlichen Gemächern mit ausgestreckten Beinen vor dem Feuer und betrachtete den Aufmarsch der wundervoll geschnitzten Schachfiguren auf einem Brett mit hübschen Intarsienarbeiten. Er hatte den Tag mit langweiligen Ratsversammlungen, Bittstellern, Richtersprüchen und einem ausgedehnten Hochamt zu Ehren der Heiligen Lukas und Judas verbracht. Lionel war müde. Sein König wurde von Williams Königin bedroht. Seine Gedanken waren nicht bei dem Spiel, sondern drehten sich wie umherziehende Motten um diese rätselhafte Zauberin. Was wollte sie nur? Was erhoffte sie sich? Warum zeigte sie sich nicht? Was für eine Frau war sie?
Lionel starrte auf die schwarze Königin. »Ich wünschte, ich hätte einen Feind, mit dem ich mich in offener Schlacht messen könnte«, bemerkte er plötzlich. »Zaubersprüche und Gebete sind schön und gut, aber damit fügen wir der Hexe keinen großen Schaden zu.« Er seufzte, überdachte seine Lage und schlug einen von Williams Springern. »Ich will eine Feldschlacht mit Rittern und Bogenschützen und Todesangst. Dann erst kann ich mir eine gute Strategie ausdenken. Ich komme mit diesem schleichenden, feigen Krieg nicht zurecht.«
William bewegte einen Bauer. »Die Zauberin steht allein, mein Gebieter. Sie befehligt keine Ritter oder Bogenschützen, sondern Dämonen aus der Hölle, und sie verlässt ihren Turm nicht. Wenn Ihr sie angreifen wollt, müsst Ihr sie von ihrem Grund und Boden fortscheuchen. Aber zuerst müsst Ihr ihre Truppen besiegen.«
Durch dauernde Wiederholung war diese Zwiesprache zu einer Art Wechselgesang geworden. Lionel gab die schon bekannte Antwort: »Ohne die Hilfe eines Magiers kann ich gar nichts tun. Der Erzbischof ist alt und hat seine Sinne nicht mehr beisammen; ein Austreibungsritual liegt jenseits seiner Fähigkeiten. Bei den Knochen Gottes, ich kenne weder den Schlüssel zu ihrer Macht noch den Weg zu ihrer Festung.
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