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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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gleichermaßen betört.
    William beugte sich wieder über seine Zeichnung. »Buchsbaum ist ein guter Baum«, fuhr er fort, »und wird oft in Gärten gepflanzt. Aber seine Blätter haben einen widerlichen Geruch und der Baum selbst besitzt keine Vorzüge.« Er hielt inne, zeichnete einen langen Seitenweg, versperrte ihn, lächelte in sich hinein und blies dann auf die Tinte, damit sie schneller trocknete.
    »Aber Wacholder hat einen ausgesprochen süßen Duft und jeder Teil der Pflanze besitzt seine eigenen Vorzüge. Die Asche der Rinde hilft gegen Hautkrankheiten, Tee aus den Beeren lindert Husten und der Rauch der Blätter und des Holzes vertreiben Seuchen und Vergiftungen.«
    Lionel wurde unsanft wieder an die Briefe erinnert, die unbeachtet auf seinem Tisch lagen. »Wenn doch nur jeder Weiler und jedes Dorf in Albia von einer Hecke aus diesem wundersamen Gewächs umgeben wäre«, meinte er verbittert.
    William schaute auf. »Das Volk von Galentia nimmt einen Aufguss der Beeren statt anderer Getränke zu sich und lebt angeblich bei wunderbarer Gesundheit.« Er sprach sanft wie jemand, der Balsam auf eine schwärende Wunde legt.
    Lionel seufzte seltsam beruhigt. »Dann soll der Irrgarten aus Wacholder bestehen, guter Master William«, entschied er, »damit meine Braut im süßen Duft der Gesundheit wandeln kann, auch wenn sie sich verirrt haben sollte.« Seine breite, von Schwert und Bogen schwielige Hand schwebte unsicher über der Zeichnung. »Zwar sehe ich das ganze Bild, doch finde ich nicht den richtigen Pfad. Wie soll Lissaude jemals zum Mittelpunkt gelangen?«
    William lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Obwohl die Abteiglocken schon lange zur Frühmette geläutet hatten, war sein Blick noch klar und wach vor Vergnügen. »Dieser Irrgarten ist wie das Herz einer Frau, Sire, denn das Ziel erreicht nur derjenige, der nicht nach ihm zu suchen scheint.« Er fuhr die richtige Strecke mit dem Finger ab. Sie wandte sich hierhin und dorthin, verzweigte sich und kehrte an einer Stelle beinahe bis zum Eingang zurück, bevor sie sich an Sackgassen und verschlungenen Pfaden vorbei in den inneren Lustgarten wand.
    William sagte geistesabwesend: »Als kleines Kind bin ich einmal in den Wald gegangen, um Beeren für meine Mutter zu pflücken. Ich ging weiter als je zuvor und verirrte mich. Nirgendwo stieß ich auf eine Lichtung oder einen mir bekannten Pfad. Ich markierte meinen Weg, damit ich nicht im Kreis lief. Bald kam ich an einen Ort, wo die Bäume nicht mehr so dicht beieinander standen und schließlich ganz zurückwichen. Ich befand mich am Rande einer düsteren Lichtung, auf der lediglich ein Gebäude stand, das an einen Turm erinnerte. Es war mit Efeu zugewachsen, sodass ich zuerst glaubte, es sei der Stumpf einer gewaltigen Eiche.«
    Verdutzt fragte Lionel: »Willst du, dass ich einen solchen Turm im Mittelpunkt des Irrgartens aufstellen lasse? Das klingt wie ein seltsamer Einfall aus einer alten Mär.«
    »Nein, Sire«, gab William verwirrt zurück. »Das war der Turm der Zauberin.« Trotz der Hitze zitterte er wie unter der Erinnerung an eine alte, unbegreifliche Angst. »Obwohl der Turm mitten im Wald lag, bliesen starke Winde um ihn herum, denn der Efeu flatterte.«
    »Ach ja, die Zauberin.« Jetzt ertrug Lionel den Gedanken an sie, so wie ein Mann am Vorabend der Schlacht und inmitten seiner Kameraden jeden Gedanken an den Tod plötzlich gleichmütig hinnimmt. »Bist du mit dem Irrgarten fertig?«
    William nickte, wischte die Feder am Saum seines Mantels sauber und schien dann zu ersten Mal zu bemerken, dass er zu so später Stunde zerzaust und nur leicht bekleidet im Privatgemach des Königs saß. Er errötete und zurrte seine Hemdbänder zusammen.
    »Nein, Will«, gebot ihm Lionel. »Versteck dich nicht wieder hinter Haushofmeister Flower und seinen glatten Manieren und seinem glatten Mantel. Der tintenverschmierte und über Bäume redende Mann, den ich heute Nacht gesehen habe, könnte nicht nur der Ratgeber, sondern auch der Freund des Königs sein. Ich muss dir gestehen, dass ich beides bitter nötig habe. Seit dem Tod Robert Wickhams bin ich keinem Mann mehr begegnet, der mir am Herzen gelegen hätte. Es gab keinen Mann mehr, mit dem ich aufrichtig und ehrlich sprechen und meine geheimsten Gedanken teilen konnte. Also leg deine Kette beiseite, Will, und sage mir, was wir tun sollen.«
    »Das Vertrauen Eurer Majestät ehrt mich sehr«, antwortete William. Er

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