Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
Vom Netzwerk:
sich aus dem Fenster oder wanderte in der Turmstube umher, nahm hier ein Buch und dort ein Notenblatt auf, bemängelte die Grobheit von Lady Tilneys Stichen und lief fort, bevor die erstaunte Dame einen klaren Gedanken fassen und sie ausschimpfen konnte. In diesem Zustand war ein Zusammenleben mit ihr unmöglich; nichts konnte sie beruhigen.
    Alyson selbst befürchtete, sie verfiele dem Wahnsinn. Den ganzen Juli hindurch hatte sie Master Flower schamlos den Hof gemacht; im August hatte sie nach ihm geschmachtet. So machten es auch die Damen in den höfischen Liedern; danach starben sie entweder an ihrer Liebe oder schenkten sie einem dankbareren Verehrer. Alyson tat beides nicht.
    Der erste Liebeskummer eines jungen Mädchens mag für ihre Beobachter ermüdend sein; für das Mädchen selbst aber bedeutet er unaussprechliche Schmerzen. Alysons Tage schleppten sich träge durch eine unendliche, nur von belanglosen Schatten bevölkerte Wüste dahin. Oft wünschte sie sich, tatsächlich an ihrer Liebe zu sterben, denn sie wusste nicht, wie sie je wieder gesund und fröhlich dieselbe Luft wie der ihr gegenüber gleichgültige William Flower atmen sollte.
    In einer Septembernacht, in der die Winterkälte zum ersten Mal die Luft erfüllte, kauerte Alyson in ihrem Bett. Sie hatte die Vorhänge vor den Augen ihrer neugierigen Kammerzofe zugezogen und starrte im Licht einer tropfenden Kerze in einen silbernen Spiegel. Zum aberhundertsten Mal fragte sie sich, ob ihr Geliebter sie verschmähte, weil sie hässlich anzusehen war oder irgendeinen anderen Makel hatte, den ihr Spiegel nicht zeigte. Als sie eingehend Haare, Lippen, Augen und Wangen untersuchte, musste sie sich eingestehen, dass sie tatsächlich scheußlich aussah. Ihr Gesicht war vom vielen Weinen fleckig und weiß wie ein Laken. Doch ihre in Tränen schwimmenden Augen leuchteten durch das bittere Salz und ihr Mund hatte sich nicht vor Gram verzerrt, sondern besaß einen gewissen schwermütigen Ernst, der ihr gar nicht so schlecht stand. Alyson entschied, dass sie selbst in diesem traurigen Zustand doch recht hübsch war. Warum also liebte William sie nicht?
    Gereizt warf Alyson den Spiegel auf die zerdrückten Pelze und presste die Wangen gegen das tränenfeuchte Kissen. Ihr Körper verlangte mit schmerzenden Lenden nach William. Hart drückten ihre steifen Brustwarzen gegen das Laken. Er musste erfahren, dass sie kein Kind mehr war, sondern eine Frau mit Leidenschaften und Begierden.
    Alyson blies die Kerze aus und schob heimlich eine Ecke des Bettvorhangs beiseite. Margery, diese dumme Dirn, schnarchte auf einem Lager neben dem Kamin. Sie würde kaum von leisen Schritten auf den Binsen erwachen. Alyson schlich zur Wäschetruhe, in der ein schwerer Mantel lag, und wickelte sich in dessen dunkle Falten. Leise huschte sie durch die schattenverwobenen Hallen des Schlosses, schlich über Galerien, hastete Korridore entlang, lief um Ecken und stieg Treppen hoch, bis sie schließlich vor dem Ziel ihres Verlangens stand: vor der Tür zu dem Gemach des Haushofmeisters.
    Zitternd vor Kälte und mit angstvoll rasendem Herzschlag drückte Alyson die Hände gegen das eisenbeschlagene Holz, das zwischen ihr und dem Sehnen ihres Herzens stand. Heute Abend würden ihre Schmerzen ein Ende finden – auf die eine oder andere Weise.
    Ein schwacher Herbstwind jammerte in der Halle; die Fackeln zuckten und flackerten. Alysons Hand zitterte unbändig, als sie die Tür aufdrückte und in den Raum dahinter schlüpfte. Sie hielt die Klinke fest, damit deren Klappern sie nicht verriet, schloss die Tür wieder und lehnte sich gegen das Holz. Das Blut rauschte ihr in den Ohren.
    Die Luft im Vorzimmer war unbewegt. Ein Haufen aus Leinen und Pelz stellte sich als Ned heraus. Er schlief mit halb offenem Mund und hatte den Rücken gegen eine kleine Kohlenpfanne gelehnt. Alyson glaubte, einen leisen Wind unter der schweren Eichentür hindurchsäuseln zu hören. Sie bekam eine Gänsehaut und tastete mit der Hand nach der Klinke. Einen Augenblick lang wollte sie fliehen. Das Geräusch schwoll zu einem tiefen und qualvollen Schluchzen an. Alyson ließ das beruhigende Metall der Klinke los und schlich wie verzaubert in den Hauptraum.
    Lautlos betrat sie Williams Schlafgemach und hielt kurz hinter der Tür inne. Sie erzitterte vor Angst und seltsamer Erregung. Das Schluchzen wurde leiser und hörte schließlich ganz auf. Karmesinrote Kohle glühte im Kamin und bemalte die Wandbehänge mit schwachem,

Weitere Kostenlose Bücher