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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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Gebieter, nahm das Tablett mit den Naschereien und ließ den König allein.
    Lionel von Albia war es nicht gewöhnt, den verschlungenen Pfaden seiner Seele nachzuspüren. Er kniete etwa einmal im Monat vor seinem Beichtvater, bevor er zur heiligen Kommunion ging, doch seine Beichten waren pro forma -Angelegenheiten. Jedesmal gestand er verärgerte Worte, blasphemische Eide und übermäßigen Genuss von gebratenem Schwanenfleisch ein. Er hielt sich selbst zwar nicht für einen frommen, aber doch für einen ehrbaren Mann, war so lebhaft wie jeder andere Sohn Adams und wurde nicht von bösartigen Gelüsten belästigt. Er hielt sich keine offizielle Mätresse, doch wenn es ihn überkam, legte er sich eine Kurtisane aus Cygnesbury ins Bett; die ehrbaren Frauen und Töchter seines Volkes ließ er in Ruhe. Wie Robin bevorzugte er seine Huren jung und mit festem, beweglichem Körper. In ihren kecken Bemühungen fand er einen angenehmen Zeitvertreib.
    Doch kein Dirnenkörper hatte ihm je dieselbe Befriedigung verschafft wie eine wilde Schlacht oder ein stillerer Ausritt Knie an Knie mit einem lustigen Kumpan. Noch nie hatten ihn Dirnenkunststücke so entflammt wie der bloße Gedanke an seine Hände auf William Flowers weißem Körper.
    Die Nacht ging dahin, während Lionel umherschritt, brütete und den Grund seiner unerklärlichen Leidenschaft zu verstehen versuchte. War es ein Zauberspruch der Hexe, die des Königs Seele mit einem verderblichen Gift anstecken wollte? Oder war William Flower wirklich die Hexe, als welche Mistress Rudyard ihn bezeichnet hatte?
    Wie konnte ein Mann eine Hexe sein? Hexerei war nicht erlernbar, sondern wurde angeboren, und nur Frauen waren geborene Hexen. Männer bedurften eines langen Studiums, bevor sie Magier oder Zauberer wurden, und selbst Magier und Zauberer alterten wie gewöhnliche Männer. Williams Alter hingegen war ein Rätsel. Der junge Flower hatte geschworen, erst fünfundzwanzig zu sein, doch ein kurzer Blick in sein hübsches Gesicht offenbarte, dass er entweder log oder sich die Barthaare mit einem Zauberspruch von den Wangen fernhielt. Kein Mann von fünfundzwanzig hat ein so rosenwangiges und sahneweiches Gesicht, dachte Lionel, während er sein eigenes, vom dunklen Fensterglas widergespiegeltes Antlitz betrachtete. Aber William war kein affektierter Ganymed, keine geschminkte Halbfrau in Samt und Seide. Nein, Will war ein richtiger Mann. Und es war gerade diese Verbindung von Hart und Weich in ihm – der Gegensatz des eckigen Kinns und der sanften Wangen, des pfeilgeraden Körpers und der anmutigen Hände –, die Lionels Blut stärker in Wallung brachte als jede sanftere Schönheit.
    Lionel zitterte zwischen Verlangen und Abscheu. Der Mann musste eine Hexe sein, wenn er Lionel so erregen konnte. Vielleicht war er auch ein verfluchter Nekromant, der die Seele des Königs von Albia in die tiefsten Höllenpfühle verbannen wollte.
    Lionel wandte sich vom Fenster ab und betrachtete Lissaudes Porträt auf der Staffelei. »Verdammte, einfältige Nonne!«, rief er und warf mit einer ausholenden Armbewegung Porträt und Staffelei zu Boden.
    In der Stille danach setzte sich Lionel schwer an den Tisch und vergrub die Hände in den Haaren. Er gestand sich ein, dass er sich weder vernünftig noch königlich benahm. Hatte William Flower also doch seinen König behext und ihm diese unnatürliche Zuneigung aufgezwungen?
    Lionel rief sich die mittäglichen Spaziergänge und mitternächtlichen vertraulichen Gespräche mit William so deutlich wie möglich ins Gedächtnis und suchte sie nach dem Gift schleichender Verführung ab. Er dachte an jeden Blick und jede Geste des Haushofmeisters, an jedes mitfühlende Wort, an jede Belehrung oder Freundschaftsbekundung. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er keinen Fehl in Williams Handlungen entdecken. Nie hatte er vielsagend dreingeblickt oder sich dem König zu weit entgegengeneigt; nie hatte er die kameradschaftlichen Umarmungen erwidert, mit denen Lionel gewöhnlich seine Vertrauten ehrte. Selbst Lord Molyneux und sogar Robin Wickham hatten ihn freizügiger berührt als William.
    Nun musste Lionel ehrlich gegen sich selbst sein. William war der erste und einzige Gegenstand seiner wahren Leidenschaft und William hatte sich wie ein guter Diener aufgeführt, ohne Vertrautheit oder Dreistigkeit zu zeigen. Die Sünde – wenn es denn eine Sünde war – lag allein auf Lionels Seite.
    Ein grauer und nebliger Morgen dämmerte bereits über

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