Die Blume der Diener
Cygnesbury, als der König endlich zum unangenehmen Mittelpunkt seiner Überlegungen vorgedrungen war. Im wachsenden Licht löschte er die tropfenden Kerzen und öffnete das Fenster, um seine dumpfen Gedanken durchzulüften.
Sein Haushalt war bereits auf den Beinen. Ein Küchenjunge trottete mit zwei leeren Kübeln über den Hof und zwei Soldaten standen gähnend bei einem offenen Feuer und tranken Dünnbier. Bald würde der Schlafkammerdiener an die Tür klopfen und sauberes Leinen, Bier und Fleisch bringen. Danach würde der Haushofmeister mit seinen Papieren und Plänen und seinen klaren grauen Augen in der Tür des königlichen Kabinettszimmers erscheinen. Plötzlich wusste Lionel, dass er das heute nicht ertrug.
»Ich gehe auf die Jagd«, sagte er zu sich selbst. Bei diesen Worten verließ ihn seine Müdigkeit. »Ich gehen allein auf die Jagd.«
Etwa vier Stunden später lenkte Lionel sein großes graues Rennpferd unter das Blätterdach des Waldes von Hartwick. Er hatte seine Dienerschaft mit dem Befehl überrascht, Glaucus unverzüglich zu satteln und Proviant für einen ganzen Tag vorzubereiten. Dann hatte er widerstrebend nach William geschickt und ihm das königliche Siegel zur Aufbewahrung gegeben. Diese unpersönliche Begegnung hatte Lionel mit Wut und Verlangen erfüllt. Auf der Flucht vor Williams verwirrenden grauen Augen hatte er das Schloss durch ein Nebentor verlassen. Er war auf dem nächsten Weg nach Wyrmford geritten und dann über das Feld von Reddingale zum östlichen Rand des Hartwick-Waldes galoppiert.
Das Feld von Reddingale war durch die Hexereien dieser Zauberin zu einer verdorrten Ebene geworden; nichts mehr erinnerte an die saftige Wiese, auf der Botschafter Tellemonde getanzt hatte und Alyson Pascourt zur Königin der Liebe und Schönheit gekrönt worden war. Dahinter erhob sich der Wald von Hartwick wunderbarerweise unberührt von Dürre und Sturm. Lionel wurde leichter ums Herz, als er unter das flüsternde Blätterdach ritt. Er stellte sich in den Steigbügeln auf und sang: »Welch ehrenhaften Tod tun kund / der Laut von Bronzehorn und Hund.«
Sein Lied sickerte in die Stille des Waldes ein, die es ohne Echo schluckte. Lionel lachte trotzdem. Die Lust, die nun sein Blut erhitzte, war ihm wohlbekannt; sie war die Vorfreude auf das vorsichtige Anpirschen, die lange, hastige Jagd, das ach so süße Erlegen des Tieres und das Abziehen und Ausweiden der Beute.
Es gab viele Fuchs- und Hasenfährten, doch Lionel beachtete sie nicht. Er hungerte nach größerer Beute. Bisher war er immer in den äußeren Bereichen des Waldes geblieben und selten hinter die Schneisen und Lichtungen vorgedrungen, die seine Waldarbeiter geschlagen hatten. Wenn der König einen Keiler oder Hirsch erlegen wollte, stöberten ihn die Jagdgehilfen auf und trieben ihn ihrem Gebieter zu. Heute aber war der König sein eigener Treiber und würde tapfer die pfadlosen Tiefen des Waldes erkunden. Er würde sein königliches Privileg in Anspruch nehmen und einen Hirschen töten, falls er einen sah – ein Leittier mit gewaltig verzweigtem Geweih.
Lionel suchte den Waldboden nach Spuren ab, so wie es sein Vater ihm vor langer Zeit beigebracht hatte. Hier sah er den Abdruck eines gespaltenen Hufs, dort einen herabhängenden, angeknabberten Zweig. Er folgte den Wildspuren tief in den Wald hinein. Manchmal ritt er, manchmal stieg er ab, führte Glaucus am Zügel und beugte sich über die schwer erkennbare Fährte. Für das Aufleuchten der weißen Hasenschwänzchen im Unterholz war er blind und taub für das nahe Gekläff eines Fuchses. All seine Sinne waren auf den schwachen Moschusgeruch, das sanftbraune Fell und den vom Moos gedämpften Tritt seiner Beute gerichtet.
Als Lionel am Nachmittag die Spur auf einer kleinen Lichtung verloren hatte, bemerkte er, wie hungrig und müde er war. Er stieg ab und zog Brot und Käse aus der Satteltasche. »Bei den Knochen Gottes, dieser Wald ist so leer wie mein Magen«, sagte er fröhlich zu Glaucus und streichelte den stämmigen grauen Nacken des Pferdes. »Keine lebende Seele ist hier außer dir und mir.«
Er aß im Stehen, denn er befürchtete, sofort einzuschlafen, wenn er sich bequem niederließ. Selbst wenn er nicht übernächtigt gewesen wäre, hätte ihn die langsam schwindende Wärme des Waldes in die Arme des Schlafs getrieben. Ein ermüdender Spätsommer weilte noch unter Hartwicks Blättern und schimmerte durch die reglose Luft. Späte Blumen und bunte Beeren
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