Die Blume von Surinam
gehofft. Jetzt war er hier, Masra Martin wusste sogar wo, aber er ging nicht hin?
»Warum nicht?«
Masra Martin zuckte die Achseln. Dann ließ er sich rücklings die Wand heruntergleiten, kauerte sich auf den Boden und legte den Kopf auf die Knie. »Ich … ich weiß doch gar nicht, ob er mich wiedersehen will.« Seine Stimme bebte und Karini bemerkte erstaunt, dass er weinte. Hilfe suchend warf sie Masra Henry einen Blick zu. Diese Seite hatte sie an ihm, dem stets Resoluten, Zielstrebigen, aber auch Verschlossenen, noch nie gesehen.
Masra Henry zuckte nur die Achseln. Karini empfand ein starkes Bedürfnis, Masra Martin zu trösten, und rutschte ein Stück an ihn heran. Denn auch wenn er sie in den letzten Monaten immer wieder gedemütigt hatte, rührten seine Tränen sie zutiefst. Sie zögerte einen Moment, legte ihm dann aber entgegen jeglicher Etikette beruhigend eine Hand auf den Arm. Seine Haut war warm und weich, und Karini spürte überrascht, dass sie die Berührung genoss. Ihr Körper wurde von einem angenehmen Prickeln ergriffen, und alles um sie herum schien einen Augenblick in weite Ferne zu rücken.
»Dein Vater ist jetzt um die halbe Welt gereist, und ich bin mir sicher, er wäre nicht nach Surinam zurückgekommen, wenn er nicht auch vorhätte, dich zu sehen«, sagte sie schließlich sanft.
»Ja, nun warte doch erst einmal ab, das Schiff hat vor gerade einmal vierundzwanzig Stunden angelegt. Ich denke, dein Vater hat erst mal andere Dinge regeln müssen.« Karini war Masra Henry dankbar für seine Unterstützung.
Masra Martin hob den Kopf und blickte ihr direkt ins Gesicht. Für einen kurzen Moment meinte Karini, so etwas wie Dankbarkeit in seinen geröteten Augen zu erkennen, dann wurde sein Blick hart. Er schüttelte ihre Hand ab, rappelte sich auf und strich sein Hemd gerade. »Ich würde gerne … etwas allein sein.«
Masra Henry stand auf, hob kurz die Arme und ging zur Tür. Karini wollte sich vom Boden hochstemmen, als Martin ihr die Hand zu Hilfe reichte. Erstaunt griff sie zu. Es war das zweite Mal, dass sie ihn heute berührte, und auch jetzt durchfuhr sie ein Kribbeln. Er zog sie hoch und stand plötzlich ganz dicht vor ihr.
»Danke«, flüsterte er und ließ den Blick aus seinen dunkelbraunen Augen einen kurzen Moment auf ihr ruhen. Karinis Herz machte einen ungelenken Hüpfer.
Kapitel 12
W im stand am Fenster und blickte hinaus. Seine Fingerspitzen strichen vorsichtig über die zarte Gaze, die auf den Rahmen gespannt war, während er über seine ersten vierundzwanzig Stunden auf surinamischem Boden nachdachte.
Das Klima in diesem Land war so heiß. Gestern war er viel zu aufgeregt gewesen, um die Hitze wirklich wahrzunehmen, aber jetzt hatte er bereits die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet und trotzdem nicht das Gefühl, dass es Erleichterung brachte.
Gesine schien die Hitze körperlich noch mehr zuzusetzen. Sie hatte sich gleich nach dem Frühstück mit Kopfschmerzen entschuldigt. Wim war nicht entgangen, dass sie die Aufmerksamkeit, mit der das junge schwarze Mädchen um sie herumlief, zu genießen schien. Mehrmals hatte Wim aus dem Nebenzimmer leise Gespräche belauscht, im Stile von: »Ja Misi, etwas kaltes Wasser zum Waschen bringe ich noch, möchte die Misi auch noch etwas zu trinken?« Wim schmunzelte. Das gefiel Gesine sicherlich. Und er war froh, ihre Leiden jetzt nicht ertragen zu müssen.
Dabei war sie bei Weitem nicht die Einzige, die litt. Wims Gedanken wanderten zum vorangegangenen Abend. Dass Gesine mit der Erwähnung von Pieter Brick starke Aufregung ausgelöst hatte, war seiner Frau selbst wohl bis jetzt nicht bewusst geworden.
»Etwas tollpatschig, diese Mohren«, hatte sie mit einem Blick auf das am Boden liegende Tablett der schwarzen Haushälterin pikiert gesagt. Wim aber hatte die Spannung sofort gespürt. DieBlicke, die Juliette, ihr Mann und der Junge sich zugeworfen hatten, konnten nur eines bedeuten: Hier lag etwas im Argen.
Nach dem Abendessen hatte Jean Wim zu einem Umtrunk unter Männern in sein Büro gebeten. Wim wusste, was das bedeutete, Juliettes Mann war ganz offensichtlich ein Mann der Tat. Er hatte zwei Gläser Dram eingeschenkt und Wim eines gereicht.
»Wim, erlaube mir die Frage: Was hat dich wirklich nach Surinam geführt?«, hatte er nicht lange um den heißen Brei herumgeredet. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber Julie regt das Thema Erbe immer sehr auf, sie ist seit deinem Brief sehr aufgewühlt.«
Sofort hatte sich
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