Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
sich durch den knirschenden Schnee vorwärts, wobei sie tiefe Spuren hinterließen, die Jean-Baptiste wenig später mit seinen Wagenrädern verwischte. Die anderen Wagen folgten in kurzem Abstand, wobei die Lenker sich alle Mühe gaben, in den ausgefahrenen Spurrinnen zu bleiben.
»Seht nur, Marguerite, es wird endlich hell!«, rief der junge Marot und deutete mit seiner Gerte zum Horizont, den man im fahlen Dämmerlicht nur an einer bläulich weißen Linie in der Ferne erahnen konnte. Aus diesem Weiß tauchten die unförmigen
Schneemassen nach und nach auf wie in einem Eismeer gefangene große Geisterschiffe.
Morphée wirkte ganz friedlich. Von Marguerites vier Zelterstuten war sie die bravste, die es nur nicht gern hatte, wenn sie sehr schnell und übermäßig lange laufen musste. Morphée war nicht verfroren, und Kälte machte ihr auf jeden Fall weniger zu schaffen als Hitze.
Marguerite kannte ihre Stuten in- und auswendig und wusste immer, welche sich für eine bestimmte Reise oder einen Ausritt am besten eignete. Deshalb fühlte sie sich an diesem außergewöhnlichen Wintermorgen mit Morphée auch ganz sicher und war sich gar nicht der Gefahr bewusst, der sie sich bei diesem stürmischen Wetter aussetzte.
Aufmunternd klopfte sie ihrem Pferd auf den Hals, das ruhigen Schrittes durch den tiefen, weichen Schnee trabte, und spürte, dass Morphée genauso guter Dinge war wie sie selbst.
Noch immer herrschte eine geradezu unheimliche Stille, nur unterbrochen vom fernen Heulen der Wölfe. Sie hatten nicht damit aufgehört. Bald würden sie in die Nähe der Dörfer kommen, und auch wenn das im Winter keine Besonderheit war, erfüllte es die Menschen doch mit Angst und Schrecken.
»Hört Ihr die Wölfe?«, fragte Marguerite und drehte sich zu ihrem Begleiter um. »Der Gastwirt hat uns versichert, wir würden sie bald los sein. Aber ich fürchte, er hat sich getäuscht. So leicht lassen sie sich scheinbar nicht abschütteln.«
»Bestimmt sind sie halb verhungert. Doch keine Angst, wenn sie der Stadt zu nahe kommen, werden die Jäger sie töten.«
Marguerite nahm die Zügel und ließ Morphée eine Kehrtwendung machen.
»Jean-Baptiste!«, rief sie dem Kutscher zu, »wir müssen uns
vor den Jägern in Acht nehmen, die die Stadt bewachen. Sie sind oft unberechenbar.«
»Eigentlich hätten wir ihnen längst begegnen müssen«, rief der Kutscher zurück. »Es sind nur noch wenige Meilen bis Amboise.«
Marguerite suchte den Horizont ab, ließ ihr Pferd wieder umkehren und holte ihren Weggefährten wieder ein.
Die Landschaft bot jetzt eine phantastische Kulisse. Unter der dichten weißen Schneedecke schien sie wie erstarrt.
Alles war in das gleichförmige, blendende Weiß gehüllt und konturlos geworden. Hin und wieder brach ein Ast laut krachend unter der Schneelast.
Die verschneiten Flüsse schienen stillzustehen. Boote und Hütten, Bäume und Hügel, ja sogar die Dörfer mit ihren sonst weithin sichtbaren Kirchtürmen verschmolzen in dem dichten, milchig weißen Schnee zu einer unförmigen Masse. Und es wollte nicht aufhören zu schneien.
Marguerite fröstelte und wickelte sich fester in ihr warmes Cape. Ihr Weggefährte war in einen längst nicht so warmen Umhang gehüllt, schien aber nicht unter der Kälte zu leiden, während Marguerites Hände bereits steif gefroren waren.
Seite an Seite legten sie mehr als zehn Meilen zurück, kamen aber wegen des heftigen Schneefalls nur mühsam voran. Nach Amboise schien es doch noch weiter zu sein, als Jean-Baptiste vor einiger Zeit behauptet hatte.
»Zu gern würde ich Euch wärmen, Marguerite«, raunte ihr Marot zu.
»Und zu gern würde ich wissen, wie Ihr das anstellen wollt, Monsieur le Poète.«
»Natürlich so liebevoll wie möglich!«
Von einer Sekunde auf die andere hatte es aufgehört zu schneien. Ein paar hungrige Raben und Krähen krächzten aufgebracht.
»Wenn wir anhalten, kommen wir nicht mehr los«, prophezeite Jean-Baptiste, während er den Schnee von seinem Mantel klopfte.
Entsetzt von der Vorstellung, irgendwo weit weg von Amboise eingeschneit zu werden, pflichtete ihm Catherine bei.
Blanche hatte nicht weniger Angst, widersprach ihm aber, weil sie befürchtete, ein oder zwei hungrige Wölfe könnten sich ihnen in den Weg stellen.
»Ich bin dafür, dass wir Halt machen«, sagte sie. »Dann brechen wir eben erst morgen früh wieder auf. Das haben wir schließlich heute Morgen auch gemacht.«
»Da hat es aber nicht gefroren, Madame«, gab
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