Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
nur François sein! Ihr närrischer, ungestümer großer kleiner Bruder, der es mit jedem Wetter aufnahm, um seiner Schwester entgegenzureiten. Das war ganz unverkennbar François.
Und natürlich Pegasus! Eigentlich hätte sie ihn sofort an seinem ganz besonderen Gang erkennen müssen, den er nicht einmal im tiefen Schnee verlor.
Als die Reiter näher kamen, sprang Marguerite vom Pferd, lief ihnen entgegen und wurde in einem Wirbel von tanzenden Schneeflocken, die sie plötzlich leicht und luftig und hübsch durchsichtig fand, hochgehoben und ganz sanft auf Pegasus gesetzt.
An den jungen Dichter dachte sie nicht mehr. Ihr Bruder konnte sie immer alles um sie herum vergessen machen.
»Die heilige Dreifaltigkeit von Amboise!«, murmelte Marot ein wenig eifersüchtig.
Und weil er sich von Marguerite über die Maßen angezogen fühlte, nahm er sich vor, ihre köstlichen Versprechen auf keinen Fall zu vergessen. Schon sah er sich zu seinem berühmten Vers inspiriert, der Jahrhunderte überdauern sollte: »Der Körper einer Frau, das Herz eines Mannes und ein engelsgleiches Haupt.«
Trotz des vielen kalten Schnees spürte Marguerite die Wärme ihres Bruders. Er drückte sie an sich, und Bonnivet erwartete sie gemeinsam mit Marot, der zu ihnen gestoßen war.
»Wer ist der Kavalier, der dich begleitet?«
»Er ist Dichter, François.«
»Und was will er von dir?«
Marguerite musste lachen. Die kleinen Eifersüchteleien ihres Bruders amüsierten sie noch immer.
»Ich möchte ihn Mutter vorstellen. Er ist ein sehr begabter Junge und ganz durchdrungen von der neuen Kultur.«
Ohne sich um ihre nassen Kleider zu kümmern, drückte sie sich noch fester an ihren Bruder und atmete die kalte Winterluft in vollen Zügen ein. Es konnte ja nicht mehr allzu lange dauern, bis sie wieder auf dem bequemen, warmen Schloss war.
»Er heißt Clément Marot«, erzählte sie weiter, »und er ist schön, jung und klug und gefällt mir.«
»Ist er mit Jean Marot, dem Hofdichter des Königs, verwandt?«
»Ja, er ist sein Sohn. Aber ich halte ihn für den talentierteren von beiden.«
Sie hatten den ersten Wagen des Konvois erreicht. François nahm die Hand seiner Schwester und drückte sie fest.
»Hast du deinen Mann schon vergessen?«
»Ich bitte dich, François! Du weißt sehr gut, dass es nur sehr wenige Gemeinsamkeiten zwischen meinem Mann und mir gibt und dass ich gezwungen bin, mich mit seinen Qualitäten als Soldat zu begnügen, ohne auf weitere hoffen zu dürfen«, erwiderte Marguerite und lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Bruders. »Dieser Clément ist sehr verführerisch.«
Dann brach sie in das fröhliche Gelächter aus, das ihr Bruder so sehr an ihr liebte.
»Meine liebe Schwester, mein Herz! Du wirst doch nicht etwa flatterhaft?«
»Würdest du mir davon abraten?«
»Ich glaube, du redest nur so daher, weil du auf diesem alten, langweiligen Château d’Alençon eingesperrt bist. Aber ich pflichte dir bei. Wenn du erst wieder die ganze Pracht von Blois und Amboise um dich hast, sollst du dich nach Herzenslust amüsieren.«
Bonnivet und Marot schienen sich nicht viel zu sagen zu haben. Beide blickten abwartend zu François und Marguerite.
Mit einem eleganten Satz sprang François vom Pferd.
»Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Monsieur le Poète, und besten Dank, dass Ihr meiner Schwester Gesellschaft geleistet habt. Sie scheint Eure Gegenwart sehr zu schätzen.«
Bonnivet nützte die kleine Ansprache, um sich Marguerite zu nähern.
»Liebe Marguerite, es kommt mir so vor, als wäre Eure Hochzeit eine Ewigkeit her.«
»Dabei ist es nur ein kleines Weilchen«, meinte die Duchesse d’Alençon verschmitzt.
»Oh nein, Marguerite! Das ist nicht wahr, und Ihr wisst das auch ganz genau!«
Er griff nach ihrer Hand.
»Ihr werdet immer verführerischer. Die Ehe scheint Euch prächtig zu bekommen. Lieber Gott! Dieser Charles d’Alençon muss der glücklichste Mann der Welt sein!«
»Trotzdem habe ich das Gefühl, die Zeit vergeht sehr schnell, Guillaume. Manchmal habe ich das Gefühl, ich wäre schon seit Jahren verheiratet. Und unsere Jugendspiele scheinen in weiter Ferne.«
»Vermisst Ihr sie denn?«
»Manchmal schon.«
Entschlossen entzog sie ihm ihre Hand, die er nicht loslassen wollte.
»Versteht mich bitte nicht falsch, Guillaume. Die Zeiten sind vorbei und werden auch nie wiederkommen.«
Sie seufzte, weil sie ihren schüchternen Verehrer immer wieder sehr deutlich zurechtweisen musste.
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