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Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Blumenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Wagenräder empfand man plötzlich als so laut, dass man nicht mehr zu sprechen wagte.
    Jeder lauschte in die Nacht, bildete sich ein Heulen ein und vermutete hinter jeder Wegbiegung einen Wolf, der den Konvoi mit seinen gelben Augen gierig beobachtete. Doch sechs Stunden später, sechs lange, anstrengende und an den Nerven zehrende Stunden später, erreichte die kleine Karawane endlich ohne größere Zwischenfälle die Gegend um Amboise.
    Bestimmt war es vernünftiger, hier noch einmal zu übernachten und erst am nächsten Morgen nach Blois weiterzufahren, wenn es die Verhältnisse überhaupt gestatteten.
    Marguerite und Marot ritten noch immer Seite an Seite.
    »Habt Ihr über meinen Vorschlag nachgedacht, Clément?«
    »Ich tue nichts anderes. Warum sollte ich nicht darauf eingehen? Lieber Himmel, als Euer Sekretär könnte ich Euch von früh bis spät bewundern. Ich kann es kaum erwarten, Euch mein erstes Gedicht zu präsentieren. Wird es Euch gefallen?«
    »Gewiss, und ich verspreche, es wird Euch das Tor zu ganz anderen Hochgenüssen öffnen.«
    »Erlaubt mir, Euch bei Gelegenheit an diese Worte zu erinnern, Marguerite.«
    Der Fluss hatte seine sonst so harmonische Farbe, eine Mischung aus kräftigem Blau und zartem Grau, gegen ein weißes, beinahe phosphoreszierendes Leuchten eingetauscht.
    Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die dicken Flocken türmten sich auf dem Fluss zu einer rissigen Kruste, die bald nicht mehr zerbrechlich, sondern zunehmend beängstigend wirkte.
    Die goldenen Sandbänke waren verschwunden, Ufer gab es keine mehr. Bald würde auch der Fluss unter den monströs gewordenen Schneemassen untergehen.
    Als Marguerite den Horizont absuchte, entdeckte sie nichts als eine sonderbare Helligkeit aus Wintergrau und Silberweiß. Da fiel es nicht schwer sich vorzustellen, wie viel Lebendigkeit und Freude der bei besserem Wetter dicht befahrene Fluss den Menschen schenkte.
    »Und doch habe ich ein derartiges Schauspiel in der Touraine noch nicht erlebt«, meinte Marguerite. »Hoffentlich tauchen diese Bilder in Eurer Poesie auf, Clément.«
    Als es hinter ihnen im Schnee knirschte, drehten sie sich um und sahen einen Mauleseltreiber, der an der nächsten Flussbiegung aufgetaucht war. Marguerite winkte dem Mann, der seinen Esel mit einem Stock antrieb, freundlich zu. Das Tier verschwand fast unter einer riesigen, unförmigen weißen Last – wahrscheinlich Brennholz für die Familie.
    »Der arme Mann wird heute Nacht frieren müssen«, sagte sie bedauernd. »Es dauert bestimmt lange, bis sein Holz getrocknet ist.«
    Dann blickte sie wieder auf den Fluss und sagte: »Was ist nur aus unserer lieblichen Touraine geworden?«
    »Man gewöhnt sich an die Schönheit seiner Heimat«, erwiderte ihr Begleiter. »Würdet Ihr in den Bergen leben, würden sich Eure Augen am Anblick dieser Landschaft weiden. Ich hoffe, es wird mir noch gelingen, Euer Herz für ganz andere Bilder zu gewinnen.«
    »Ihr habt schon recht«, unterbrach ihn Marguerite, »trotzdem ist es merkwürdig, dass ich die gewagtesten Extreme in einer fremden Gegend akzeptiere, während ich sofort jegliche Orientierung verliere, wenn sich meine geliebte Touraine verändert.«
    Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen und sah sich dann wieder nach ihrem kleinen Konvoi um, der immer langsamer wurde.
    Und inmitten dieser absoluten Leere, dieser vollkommenen Stille, in der man nur das Knirschen der Hufe und Wagenräder hörte, hielt Marguerite plötzlich an.
    An der Kreuzung, wo es in den Wald von Blois ging, hatte sie zwei Gestalten in unförmigen, weiß verschneiten Umhängen entdeckt. Einen Moment rührte sie sich nicht von der Stelle, ahnte aber irgendwie gleich, wer ihr da entgegenritt.
    Die beiden Reiter taten sich schwer vorwärtszukommen. Eng aneinandergedrückt stocherten sie immer wieder vorsichtig im tiefen Schnee, um sicherzugehen, dass ihre Pferde nicht danebentraten.
    Obwohl sich ganz allmählich die Dunkelheit ankündigte, hielt sich Marguerite die Hand vors Gesicht, so sehr blendete sie das undurchsichtige Weiß. Und in diesem Augenblick wusste sie, ohne ihn wirklich erkannt zu haben, dass eine der beiden Gestalten ihr Bruder François war.
    Weil Marguerite ihr Pferd angehalten hatte, blieb Marot ebenfalls stehen und sah den sich langsam nähernden Reitern entgegen.
    Und dann schwenkte der lang ersehnte Kavalier zur Begrüßung seinen federgeschmückten Hut.
    Freudestrahlend sah Marguerite dem fröhlichen Winken zu. Das konnte

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