Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
hätte es auch anders sein sollen? Schließlich wusste sie ja, wie sehr Marguerite François liebte.
In ausgelassener Runde verspeiste man mit großem Appetit Pasteten, geräuchertes Hähnchen, Zander mit Beurre Blanc und Wildbret vom Bären.
Marguerite amüsierte sich über die verliebten Blicke, die ihr Bruder Toinon zuwarf, während er sich mit dem Dichter Marot unterhielt. Sie wusste, dass er später, wenn alles schlief, zu ihr gehen und die Nacht in den festen, runden Armen des unartigen jungen Mädchens zubringen würde. Schnee, Kälte und Eis dürften den sorglosen François de Valois in dieser Nacht wenig kümmern.
»Madame Marguerite! Madame Marguerite!«, rief Catherine und platzte in ihr Zimmer.
Marguerite las gerade ein illustriertes Bestiarium und bewunderte seine schönen Farben und die zierlichen Anfangsbuchstaben. Ihr neuer Freund, Clément Marot, erklärte ihr nämlich jeden Tag zwischen zwei verliebten Blicken, dass man die Manuskripte unbedingt verbreiten müsse, damit mehr Menschen in den Genuss des Lesens kämen und mehr lernen konnten.
»Was ist denn mit dir los, Catherine?«, fragte Marguerite lächelnd. »Du siehst ja ganz erschrocken aus.«
»Das bin ich auch, Madame Marguerite. Die kleine Mathilde ist verschwunden. Ich habe sie schon überall gesucht, kann sie aber nicht finden. Und das bei dem Schnee!«
Marguerite sprang sofort auf und ließ ihr Buch auf dem Lehnstuhl liegen.
»Meine Güte! Dieses Kind scheint mir sehr temperamentvoll zu sein – wogegen eigentlich nichts spricht. Doch du hast recht, das ist nun wirklich ein Unglück. Wir müssen sie unbedingt so schnell wie möglich finden. Schließlich haben wir sie nicht vor dem Feuer gerettet, um sie dann wieder zu verlieren.«
Sie ging noch einmal zu ihrem Sessel zurück, nahm das Bestiarium, drehte es unschlüssig in der Hand und legte es auf eine
große geschnitzte Truhe. An der Wand dahinter hing ein wunderschön schillernder Teppich mit ländlichen Szenen. Dem Millefleurs nach zu urteilen konnte er vielleicht sogar aus der Werkstatt von Alix stammen.
Selbstverständlich hatte der Wirt Madame la Duchesse d’Alençon sein bestes und schönstes Zimmer gegeben.
»Es ist wahr, vor lauter Begeisterung über den schönen Abend haben wir die kleine Mathilde ein bisschen vergessen. Lass uns zum Wirt gehen und ihn fragen, ob er ein paar Polizisten mobilisieren kann.«
»Soll ich mich nicht schon mal mit Philibert auf den Weg machen? Wir könnten gleich nach ihr suchen. Es schneit auch nicht mehr.«
»Aber natürlich! Vielleicht findest du sie noch vor ihnen. Also, schnell, lauf los! Ich gehe zum Wirt und kümmere mich um alles andere.«
Als Catherine im Stall Philibert entdeckt hatte, beruhigte sie sich gleich ein wenig.
»Mathilde ist verschwunden!«, rief sie dem jungen Stallknecht zu. »Madame Marguerite hat mir erlaubt, dass wir zusammen nach ihr suchen. Ach, Philibert, wenn der Kleinen nur nichts passiert – ich hab’ sie doch so gern!«
Verzweifelt warf sie sich in seine Arme, und Philibert nützte die Gelegenheit, um ihr einen Kuss auf den Hals zu drücken. Nicht dass sie etwas gegen Philiberts Umarmungen gehabt hätte. Solange sie in Amboise war, dachte sie allerdings vor lauter Vergnügungen kaum an ihn. Auf dem Château d’Alençon aber hatte sie sich mangels anderer Unterhaltung bald mit Philibert und Jean-Baptiste zusammengetan, den beiden Knechten, die Madame Louise ihrer Tochter überlassen hatte, damit
sie jemand zur Seite hatte, dem sie voll und ganz vertrauen konnte.
Philibert war zwar nicht so gut gebaut wie der Kutscher Jean-Baptiste, dafür hatte er das schönere Gesicht und einen heiteren Blick. Und obwohl er ständig bei den Pferden war, fand Catherine ihn einfühlsamer und seine Manieren höflicher als die von Jean-Baptiste, der ihr doch oft zu ungehobelt war. Philibert passte auf jeden Fall besser zu der wohlerzogenen jungen Kammerfrau.
Doch für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit, und Catherine musste sich von ihrem Verehrer losreißen.
»Komm, mach schnell, wir müssen los!«
»Sind wir denn die Einzigen, die Mathilde suchen?«
»Natürlich nicht! Madame Marguerite will den Gastwirt bitten, dass er Polizisten losschickt.«
»Dann sag ihnen, dass wir Richtung Amboise suchen. Sie sollen die Straße nach Orléans übernehmen.«
»Ist gut, ich sag’s gleich dem Wirt. Spann den Wagen an, und warte auf mich.«
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss, aber als Philibert sie in den Arm
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