Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
warten.
Darüber war Alix sehr verwundert. Warum machten sich Louise und Marguerite solche Umstände und unternahmen eine Reise, um sie zu treffen?
Dem Wirt war es jedenfalls recht. Was für eine Ehre! Welch vornehme Gäste! Um die musste man sich schon besonders kümmern und ihnen gleich am ersten Abend den besten Wein und das Beste, was die Küche hergab, servieren!
Seit dem vergangenen Abend hatte es nicht mehr geschneit, und der Sturm hatte sich gelegt. Sogar die Sonne ließ sich kurz blicken, zwar viel zu schwach, um den undurchdringlichen weißen
Nebel zu lichten, aber es war doch immerhin ein Hoffnungsschimmer.
Als es zwei Tage später Mittag schlug, wurde das baldige Eintreffen der Duchesse d’Alençon, der Comtesse d’Angoulême und ihres Gefolges angekündigt. Und wenig später kam Suzon angelaufen und teilte Alix mit, dass die vornehmen Damen nach ihr verlangten.
Alix hatte ausreichend Zeit gehabt, sich anzukleiden, zu frisieren und zu parfümieren. Mit dem besseren Wetter waren auch die anderen Dienstboten zurückgekehrt und hatten sich um alles gekümmert: Alix’ Kleid war gewaschen, getrocknet und gebügelt, die Schuhe geputzt und die Haube geflickt.
Kaum hatte sie die Treppe betreten, als sie sich ganz merkwürdig fühlte. Ihre Schläfen pochten, ihr Herz raste, und ihre Beine zitterten. Sie musste sich am Treppengeländer festhalten, um nicht zu fallen.
Mathias war das nicht entgangen, und er wollte ihren Arm nehmen, aber sie schob ihn sanft weg. Wie eine Schlafwandlerin ging sie die Treppe hinunter, gesteuert von dem wilden Durcheinander in ihrem Kopf.
Als sie unten ankam, verschwamm alles vor ihren Augen. Sie sah starr vor sich und schwankte. Mathias fing sie auf und wollte sie stützen. Doch diesmal schob sie ihn energisch weg und blieb stehen. Dass sie weder Marguerite noch Louise wahrnahm und erst recht nicht Blanche, Dame de Breuille oder Catherine, die auf sie zukam, wunderte niemanden.
In diesem Moment zählte nur eins, und dieses Bild prägte sich ihr unauslöschlich ein: Marguerite stand vor ihr und hielt ein kleines Mädchen mit großen braunen Augen an der Hand.
»Valentine!«, sagte Alix leise.
Das Kind blickte sie unverwandt an. Alix sah, wie sich sein kleiner süßer Mund öffnete und wieder schloss. Das Mädchen ließ Marguerites Hand los und machte einen zögernden Schritt vorwärts, während Alix desgleichen tat. Atemlose Stille trat ein, als wollte man mit nichts den kommenden Augenblick stören.
Dann rannte die Kleine los und warf sich in die Arme ihrer Mutter.
19.
Obwohl es noch nicht Nacht war, hatte man auf Château de Blois im Grand Salon, wo man an diesem Abend mit Familie und Freunden speisen wollte, alle Kerzen angezündet. Louise d’Angoulême und Marguerite d’Alençon konnten sich gar nicht sattsehen an dem schönen Bild, das Alix und Mathilde abgaben.
Mutter und Tochter waren unzertrennlich, weshalb Catherine die Kleine ausnahmsweise noch nicht zu Bett gebracht hatte. Sie hätte ohnehin nur furchtbar geschrien und vermutlich wieder einen ihrer sonderbaren Anfälle bekommen. Also saß Mathilde auf Alix’ Schoß, bestaunte sie und streichelte ihr Gesicht mit ihren runden Fingerchen.
Als Catherine erfahren hatte, dass sie sich von dem Kind trennen musste, hatte sie bittere Tränen vergossen, obwohl sie natürlich einsah, dass Mathilde zu ihrer richtigen Mutter gehörte. Nachdem sich das Zimmermädchen an Philiberts Schultern ausgeweint und ihm immer wieder vorgejammert hatte, wie sehr ihr die Kleine fehlen würde, hatte der sie mit dem Versprechen getröstet, er könnte ihr so viele Kinder machen, wie sie wollte, wenn sie erst verheiratet wären. Catherine nahm das als verspätete Antwort auf ihren Heiratsantrag und machte sich sofort daran, Pläne zu schmieden.
Marguerite hatte sich ausbedungen, dass ihr Findelkind gleich im Frühjahr getauft werden sollte und verlangt, dass sie ihre Patin wurde. Das war ihr äußerst wichtig, weil Mathilde auf die Weise so oft sie wollte an den Hof von Alençon, von Amboise und sogar nach Blois kommen konnte. Die Kleine hatte nämlich großen Eindruck bei ihrem Bruder François hinterlassen, der sie unbedingt als Erster auf ein Pony setzen wollte.
»Mathilde hat meinen Bruder verführt, Alix«, sagte Marguerite lachend. »Ihr werdet ihm kaum verbieten können, sie hin und wieder in Blois zu sehen – natürlich nur, wenn ich dabei bin.«
»Ja, gewiss«, sagte Alix leise und wandte sich zu Louise, die genauso
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