Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Er hielt es für völlig ausgeschlossen, dass es noch eine zweite Valentine auf der Welt gab, schenkte der Geschichte kein Vertrauen und hielt sich die Ohren zu, weil er nichts mehr davon hören wollte.
Als Alix später den Bericht seines Vaters bestätigte, zuckte er nur die Schultern. Weil Nicolas aber ein kluger Junge war, sagte er sich, wenn sie doch recht haben sollten und es dieses andere Mädchen wirklich gab, würde er es jedenfalls niemals mit seiner Valentine verwechseln.
Wie auch immer, die Geschichte gefiel ihm nicht, und er beschloss, sie erst einmal irgendwo in seinem Gedächtnis zu vergraben, bis er sich persönlich von der Wahrheit überzeugen könnte. Dafür freute er sich umso mehr über seinen Vater, der
ihm wie ausgewechselt schien. Noch nie hatte er ihn so freudestrahlend erlebt. Und als er auch noch kurz vor ihrer Abreise gesehen hatte, wie sein Vater die Hand von Alix nahm und nicht mehr losließ, kannte sein Glück keine Grenzen mehr.
Kaum war der Konvoi eingetroffen, machte er sich auch schon wieder auf den Rückweg. Alix, Valentine und Mathias saßen eng zusammengekuschelt in der Kutsche und genossen ihr Glück. Alix wollte dem Mädchen nicht zu viel zumuten. Schließlich hatte der ganze Hausstand laut genug über die aufregende Geschichte gejubelt.
»Ich glaube, Nicolas hat alles sehr gut verstanden«, flüsterte Mathias Alix ins Ohr, »aber er weigert sich einfach zu glauben, irgendjemand könnte genauso sein wie seine Valentine.«
»Das kann ich sehr gut verstehen. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Wir sollten ihn behutsam an die veränderten Tatsachen heranführen, dürfen ihn aber zu nichts zwingen.«
Als Valentine sah, wie ihre Mutter Mathias einen Kuss gab, schmiegte sie sich noch enger an die beiden, um nichts zu versäumen. Sie blickte von einem zum anderen, nahm von jedem eine Hand und ließ sie nicht mehr los.
Der Konvoi machte im Schlosshof Halt, und Valentine wagte sich erst einmal nicht aus der Kutsche. Derart viele Aufregungen in so kurzer Zeit waren zu viel für sie. Als Alix sah, wie ängstlich und schüchtern sie sich verhielt, konnte sie gar nicht verstehen, dass Valentine allein weggelaufen war. Sie musste wohl von einem unstillbaren Verlangen angetrieben worden sein.
Schon jetzt spürte Alix, dass die beiden Mädchen ein ganz unterschiedliches Temperament hatten. Mathilde war charakterstark
und wollte sich nichts sagen lassen, Valentine benahm sich längst nicht so starrköpfig.
Die Vorstellung, Mathilde hätte bei dem Feuer im Wald sterben können, erfüllte Alix noch immer mit Entsetzen. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken, sondern sich über den glücklichen Ausgang der Geschichte freuen. Erst gab sie Valentine einen Kuss, dann Mathias, der ihr aufmunternd zulächelte.
»Ach, Mathias, hoffentlich geht alles gut! Ich mache mir solche Sorgen!«
»Nur die Ruhe, Alix! Das Schlimmste haben wir schon überstanden.«
Alix’ Geduld wurde aber noch einmal auf die Probe gestellt. Offenbar wollte Marguerite das Ereignis in vollen Zügen auskosten, weshalb es hieß, man müsse noch eine Weile warten, ehe man die Fortsetzung dieser sonderbaren Geschichte erleben könne.
Die Dienstboten, die die drei nach Tours und zurück begleitet hatten, führten sie in einen der Salons im Parterre. Alix setzte sich und nahm ihre Tochter auf den Schoß, aber sie hatte ihr kaum erklärt, dass gleich viele Leute kommen und ihr die Schwester wie ein schönes, unvergessliches Geschenk präsentieren würden, da kündigte Catherine auch schon die Comtesse d’Angoulême und die Duchesse d’Alençon an.
Es sah beinahe so aus, als würde man ein kleines Stück zum zweiten Mal aufführen, bei dem sich aber einige Vorgaben geändert hatten. Dem Publikum wurde eine andere Szene vorgespielt. Schauplatz war nicht mehr das Gasthaus, sondern ein Schloss, und es war noch ein Schauspieler dazugekommen – Valentine. Und was die Statisten betraf, so waren es nun viel mehr, die einen großen Kreis um die Bühne bildeten, auf der die Szene gleich gespielt werden sollte.
Der Vorhang ging auf, und die Duchesse d’Alençon betrat mit Mathilde an der Hand, gefolgt von ihrer Mutter, den Salon. Es war ein denkwürdiger Augenblick, und jeder war ergriffen von dem unbefangenen Wesen der beiden Kinder. Kein Wunder, dass die Zofen von Louise und Marguerite dieses freudige Ereignis nicht verpassen wollten.
Beim Anblick ihrer Mutter strahlte Mathilde vor Freude und wollte zu ihr laufen, blieb
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