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Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Blumenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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aber stehen, als sie Valentine entdeckt hatte. Mit ungläubigem Staunen sahen sich die beiden Mädchen an.
    War ihnen ihre große Ähnlichkeit überhaupt bewusst? Auch wenn sie noch zu klein waren, um in den Spiegel zu schauen und sich ihr Gesicht zu merken – nur ihr gemeinsamer Wunsch, die gleiche tiefe Sehnsucht, die nach Erfüllung verlangte, zählten jetzt.
    Valentine hatte die Hand ihrer Mutter losgelassen und ging ein paar Schritte auf Mathilde zu. Mathilde kam ihr entgegen. Nach wenigen Schritten standen sie sich gegenüber. Und während alle ergriffen schwiegen, streckte Mathilde, die mutigere von beiden, langsam ihre Hand aus und berührte ganz vorsichtig die Wange ihrer Zwillingsschwester. Valentine machte es ihr nach, zitterte aber viel mehr als ihre Schwester. Dann strich ihr Mathilde zärtlich über die Lider, ihre zierlichen Nasenflügel, ihren herzförmigen Mund, und Valentine ließ ihre kleinen runden Finger genauso über das Gesicht der Schwester spazieren.
    Jede Bewegung, die Mathilde machte, wurde von ihrer Schwester wiederholt, begleitet von den gleichen Seufzern und im gleichen Atemzug. Der einzige Unterschied war, dass Mathilde Valentines Haare nur bestaunte, aber nicht berührte, ihre
Schwester jedoch ihr kurzes Haar anfasste, ohne zu begreifen, warum es so anders war.
    Bei dem Feuer im Wald waren Mathildes Haare völlig verbrannt und zwar zum Glück dicht nachgewachsen, aber noch nicht sehr lang. Die Jungenfrisur irritierte Valentine mit ihren schönen, langen Locken.
    Vor dem zahlreichen Publikum sagten die zwei Schwestern kein Wort, sahen sich nur unverwandt an und streichelten sich zärtlich. Was hätten sie sich aber auch sagen sollen, wo sie doch ganz offensichtlich in Gedanken fest miteinander verbunden waren?
    Und während sich keiner seiner Tränen schämte, hatte Alix plötzlich das Gefühl, mit den unerklärlichen nervösen Anfällen ihrer beiden Töchter wäre es nun vorbei, weil sie sich endlich gefunden hatten.

20.
    Louise d’Angoulême hatte es sich an ihrem Schreibtisch bequem gemacht, die Füße auf einen kleinen Hocker gelegt und ihr Tagebuch aufgeschlagen. Ihr Blick schweifte über das frische Grün in dem kleinen ummauerten Garten vor ihrem Fenster. Es duftete nach Frühling, und sie begann zu träumen.
    Dann schob sie das Tagebuch mit seinen dicht beschriebenen Seiten wieder weg, und ihrer Brust entrang sich ein langer Seufzer der Erleichterung.
    Seit einiger Zeit brauchte sie einen Lehnsessel für ihren Rücken, der ihr jeden Winter mehr Probleme machte. Mittlerweile strahlten die Schmerzen bis in die Wirbelsäule, sodass sie manchmal gar nicht schlafen konnte.
    Vor ihr lag ein unbeschriebener Bogen Pergament. Jetzt wollte sie die schmerzhaften Stiche, die sie seit Stunden plagten, vergessen, und tauchte ihre Feder in die Tinte.
    Meine liebe Alix,
     
    bin ich ein Monstrum, wenn ich Euch gestehe, sehr erleichtert darüber zu sein, dass dem Schicksal von François nichts mehr im Wege steht? Er wird König von Frankreich, das bestätigt mir
nun jeder. Königin Anne ist gestern gestorben. Endlich werde ich nachts nicht mehr von diesen grausamen Ängsten um seine Zukunft heimgesucht, auch wenn ich dafür nun furchtbare Schmerzen habe, die mich fast jede Nacht quälen. Wahrscheinlich werde ich eine Kur in Bagni di Lucca machen. Die Thermen dort sollen sehr gut sein.
    Nun ruhe sie also in Frieden, unsere Königin. Wahrscheinlich hätte ich mich ganz gut mit ihr verstanden, hätte nicht der schreckliche Kampf um die Thronfolge zwischen uns gestanden. Sie brauchte einen Dauphin und konnte ihn Frankreich nicht schenken – ich zitterte jedes Mal vor Angst in irgendwelchen finsteren Ecken oder vergraben in meinem Zimmer, wenn sie niederkam. Aber so ist es nun einmal, so hat es das Schicksal bestimmt! Die Königin musste gehen, ohne ihren Traum verwirklicht zu haben.
    Ich bin sicher, dass Ihr an meinen Cäsar gedacht habt, als die Glocken in allen Städten ihren Tod verkündeten und jeder ihr unglückliches Schicksal beklagte. Ja, sie war krank und geschwächt, weil sie so viele Kinder zur Welt gebracht hatte. Ich weiß genau, wie viele – elf, schließlich habe ich sie oft genug gezählt! Elf Kinder, von denen alle bis auf zwei bei der Geburt oder kurz danach gestorben sind. Nur zwei Mädchen blieben am Leben. Die ältere von beiden, Claude, die Ihr kennt, wird François bald heiraten. Das brave Kind wird meinen Sohn bestimmt glücklich machen und ihm ein paar schöne Jungen

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