Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
schenken. Ich bin sicher, der Himmel gewährt ihr diese Gnade, die er ihrer Mutter versagt hat.
Und wie geht es dem König, wollt Ihr wahrscheinlich wissen? Er ist ebenfalls sehr geschwächt. Seit seiner Rückkehr aus Italien weiß er, dass ihn sein letzter Feldzug – zu dem er nie
hätte aufbrechen dürfen – langsam, aber sicher umbringen wird. In größter Hast mit einer winzigen Armee aus Verwandten und engen Freunden, zu denen auch der Duc d’Alençon zählt, zurückgekehrt, hat er sich wieder in Blois eingerichtet, das er wohl nicht mehr verlassen wird.
François und Marguerite, die mit mir in Amboise waren, mussten nach Hause. Meine Tochter ist nach Alençon zurückgereist, mein Sohn nach Blois. Ihn habe ich allerdings begleitet und gedenke dort noch länger zu bleiben. Der Hof von Blois ist jetzt auch mein Hof.
Ach, meine liebe Alix! Ich bin überzeugt, dass auch François vor Freude jubelt, und empfinde diesen Überschwang als gerechten Lohn für einen großen Erfolg. Ehe sie mit Marguerite in die Normandie abgereist ist, wurde Madame de Breuille nicht müde zu wiederholen, dass es alles andere als christlich wäre, sich über eine so traurige Nachricht zu freuen und nur Unglück bringen würde, während sie die ganze Zeit mit ihrem Rosenkranz spielte.
Um dem etwas entgegenzuhalten, hat meine gute Antoinette wieder und wieder lauthals beteuert, dass eine Wartezeit von sechzehn Jahren ihrer Meinung nach durchaus zu solcher Freude berechtigte – so lange musste ich nämlich warten. ›Jetzt sind wir sicher, dass François d’Angoulême den Thron besteigen wird‹, sagte sie ein ums andere Mal. Das wollt Ihr ihr doch nicht etwa übel nehmen, Alix? Immerhin sind ihre Töchter bald Schwestern des Königs von Frankreich. Ja, Alix! Wir haben tatsächlich gewonnen!
Natürlich habe ich geweint, wie es sich bei der Trauerfeier für die Königin gehört, und auf meinem Gesicht war nicht die Spur von Genugtuung zu sehen. In den Augen meiner Kinder
schien mir allerdings gelegentlich Zufriedenheit aufzublitzen. Nur der König und Annes engste Zofen trauerten aufrichtig. Unter uns gesagt, bin ich froh, wenn die Freude siegt! Lasst uns ihre Trauer respektieren, aber innerlich jubeln. Schließlich wusste der ganze Hofstaat, wie sehr die Königin und ich uns gehasst haben. Wie oft zeigte sie sich meinem Sohn gegenüber hochmütig, und wie oft musste ich ihr Demut beweisen? Ohne den König, der ihre Fehler korrigiert und ihre Feindseligkeit uns gegenüber gemildert hat, hätten wir harte Zeiten erlebt. Ich muss gestehen, die Beisetzung war sehr feierlich. Der Leichnam der Königin war in Saint-Denis auf einem Prunkbett aufgebahrt zwischen sechs übergroßen weißen Kerzen, die mit ihrem flackernden Licht die Szenen auf den Seidenteppichen an den Wänden zum Leben erweckten.
Weil ich die Ereignisse nicht betrauert habe – ich gebe es offen zu, Alix –, hatte ich ausreichend Gelegenheit, diese wirklich sehr schönen Teppiche zu betrachten. Vielleicht kennt Ihr ihre Geschichte. Der eine ist für einen Chorraum gemacht und stammt aus dem Ensemble Das Leben der Jungfrau und des Christus und ist die Szene mit dem Titel Dornenkrone . Der König von England hat sie dem französischen König für das Begräbnis von Königin Anne geschickt. Die Farben leuchten wunderschön; bestimmt würde Euch die kunstvolle und präzise Ausführung der Blumenmotive auf den Bordüren gefallen. Der andere Teppich ist ein Geschenk des Königs von Kastilien und heißt Die Verherrlichung des Heiligen Kreuzes . Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie schön er ist! Ach, Alix, Ihr würdet vor Ehrfurcht auf die Knie fallen, und ich würde mich, an Eurer Seite an Eurer Entzückung erfreuen, denn Gott weiß, wie sehr wir beide kunstvoll gewebte historische Wandteppiche lieben. Dieser hier besteht aus zwei Teilen gigantischen Ausmaßes, die zwei große Wände vollständig bedecken. 11)
Der König erwägt, sie nach Blois mitzunehmen. In dem Fall müsstet Ihr unbedingt kommen, um sie zu sehen; ich würde Euch dort erwarten. Solltet Ihr nicht mehr allein kommen können, bringt Euren Compagnon Mathias bitte mit. Mir scheint, er hat die Stelle vom Vater Eurer Zwillinge eingenommen. Habe ich recht? Wir heißen ihn am Hofe willkommen. Nachdem Marguerite ihn bereits kennengelernt hat, muss natürlich auch François seine Bekanntschaft machen.
Doch zurück zur Beisetzung der Königin. Ihr Herz wurde in einem goldenen Gefäß verschlossen und soll in die
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