Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
lombardische Stadt, an deren Befreiung durch Ludwig XII. er maßgeblich beteiligt war; er hatte es also nicht mehr nötig, sein Renommee als Ritter zu verteidigen.
Dass Marguerite nun versuchte, Charles’ Blicke auf sich zu ziehen, lag daran, dass sie die Anspielungen des Königs sehr wohl verstanden hatte und ebenso genau wusste, warum ihr Bruder darauf brannte, sich im Zweikampf mit ihrem Frischvermählten zu messen.
Für ihr Gefühlsleben bedeutete dies keine befriedigende Perspektive, insgesamt nahm die Sache jedoch den gewünschten Gang, weil sich Marguerite mit Charles d’Alençon vertragen wollte, um so den Interessen ihres Bruders zu dienen – selbst wenn dabei die Leidenschaft auf der Strecke bleiben sollte.
Sie schenkte François ein strahlendes Lächeln und versuchte ihr Unglück zu vergessen. Immerhin konnte sie froh sein, dass ihr Gatte weder ein Greis war, vor dem ihr gegraut, noch ein Ausländer, der sie aus Frankreich gebracht hätte. Sie billigte die Wahl, die man für sie getroffen hatte, weil ihre eigenen Pläne dadurch nicht wesentlich gestört wurden. Im Grunde war es egal, ob Charles d’Alençon oder irgendein anderer Mann ihr Gatte wurde! Es gab ohnehin keinen Mann, den sie mehr lieben könnte als François. Nur der Duc de Nemours, der ihr als Einziger Herzklopfen verursacht hatte, wäre ein ernst zu nehmender Rivale für ihren Bruder gewesen.
François wandte sich wieder an den Duc d’Alençon, fegte mit einer großen Geste alle Bedenken beiseite und erklärte großspurig :
»Lasst uns den Kampf beginnen, Herzog! Ich finde nicht, dass wir das Ende der Hochzeitsfeiern abwarten sollten.«
»Mir scheint, Ihr wollt Eurer Schwester kein Schäferstündchen mit ihrem Gatten gönnen, mein Sohn«, mischte sich Louise lächelnd ein.
Eben wurden Zwetschgenkuchen, Zimtcreme und Quittenkonfitüre
serviert, doch der Appetit der versammelten Gäste hatte nachgelassen. Für den geistigen Genuss rezitierte ein Dichter Auszüge aus einer griechischen Tragödie, für die Marguerite schwärmte.
»Könntet Ihr uns vielleicht etwas pikantere Verse vortragen, liebe Baronin?«, fragte Antoinette de Polignac, die bekanntermaßen nicht viel von antiken Tragödien hielt.
»Bitte, Baronin, wir wollen ein paar gewagte Gedichte hören!«
»Meint Ihr wirklich gewagte Gedichte«, fragte Jeanne Conte Antoinette – beide langjährige, treue Zofen von Louise –, »oder doch eher erregende?«
»Um nicht zu sagen schlüpfrige«, betonte Antoinette. »Also los, Baronin, lasst Euch nicht länger bitten. Zum Teufel, wir wollen uns amüsieren!«
Neugierig musterte die Angesprochene die beiden Frauen, die sie herausgefordert hatten.
Baronin de Vivonne, verheiratet mit Baron de Bourdeille, dem weltlichen Herrn über die Abtei von Brantôme, gehörte zu den wichtigsten Kritikerinnen ihrer Zeit, die sich dabei ohne Angst vor Skandalen oder Anschuldigungen eines sehr pointierten und anzüglichen, ja manchmal geradezu derben Stils bediente.
Pierre de Bourdeille war eher ein Freund von Diskretion und begnügte sich damit, den Geschichten zu lauschen, die seine Gattin mit ihrem profanen Gedächtnis zu erzählen beliebte. Mit gespitzten Ohren hörte sich ihr Publikum bei solchen langen Veranstaltungen begeistert ihre zahllosen anstößigen Anekdoten an.
»Ich soll Verse vortragen!«, rief die Baronin empört. »Gedichte oder vielleicht ein Melodram! Wie Ihr wohl wisst, schmiede ich keine schlechten Reime, sondern ich erzähle! Ich male! Ich mache die Worte zu besonnenem Tadel. Ich kritisiere die Sitten
meiner Zeit! Ihr beleidigt mich, wenn Ihr wollt, dass ich Verse vortrage.«
»Dann erzählt uns doch bitte ein paar von Euren schönen Geschichten«, ließ Antoinette nicht locker und kühlte ihr Gesicht mit ein paar Tropfen frischem Wasser. Dann bat sie Jeanne, ihr Kleid am Rücken etwas zu lockern, das ihr die Kammerfrau am Morgen viel zu fest geschnürt hatte.
»Teufel noch eins!«, fluchte nun auch Baron de Bourdeille, »schließlich feiern wir hier die Hochzeit der schönen Marguerite! Dazu sollten wir unsere besten Geschichten beitragen. Heute dürfen wir uns nichts von den Lehrern unserer Kinder vorschreiben lassen – nein, heute soll uns ausnahmsweise auch einmal die Divina Commedia Genuss bereiten!«
»Man verlangt nach Euch, Madame Louise.«
»Großer Gott, das darf doch nicht wahr sein! Jeder weiß, dass ich hier unabkömmlich bin. Kann das nicht warten?«
»Ich glaube kaum«, warf Antoinette ein
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