Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Birke, deren weiße Rinde im Mondlicht silbern leuchtete, war ein prächtiges Pferd gebunden. Es stand ganz still da. In der Dunkelheit konnte Mathias kaum etwas ausmachen, aber der Mond schien gerade in dem Augenblick hell genug, dass er erkennen konnte, dass es sich bei dem Pferd um einen Schimmel handelte.
Lautlos wie ein Greifvogel im Anflug auf seine Beute schlich sich Mathias an das Pferd an und versteckte sich hinter der Weide. Doch der Baumstamm war zu dünn, man hätte ihn sehen können, weshalb er sich in dem Gebüsch dahinter verkroch.
Ein dürrer Ast knackte unter seinem Fuß, und er musste innehalten und sich flach auf den Boden legen, um nicht bemerkt zu werden. Das war auch gut so, weil Tania sich noch einmal umsah, ehe sie in den Kahn stieg. Jetzt war Mathias froh, dass er einen weiten, dunklen Mantel angezogen hatte, der ihm als zusätzliche Tarnung diente.
Das Boot neigte sich zur Seite, als Tania einstieg und sich auf die Ruderbank setzte, um nicht auszurutschen. Weil sie auf den Boden des wackeligen Boots sah, konnte man sich denken, dass dort jemand lag.
Von seinem Versteck aus konnte Mathias nichts hören, wollte aber unter allen Umständen das zu erwartende Gespräch zwischen Tania und dem Bootsinsassen belauschen. Vorsichtig richtete er sich auf und war sehr erleichtert, dass ihn der Lichtkegel des Mondes nicht traf. Als er sich umdrehte, sah er, wie das weiße Pferd friedlich den trockenen, harten Winterboden beschnupperte.
Mathias wagte sich nicht zu rühren. Mühsam machte er in der Dunkelheit ein anderes Gebüsch aus, das zwar nicht so dicht, dafür aber näher an dem Boot war, in dem jetzt ein großer, schlanker junger Mann neben Tania aufgetaucht war, der sie plötzlich in die Arme nahm und an sich drückte. »Ach so, das war es also«, dachte sich Mathias. »Sie hat einen Verehrer, den sie hin und wieder nachts an der Loire trifft. Lieber Gott! Wie dumm von mir! Ich hätte mir denken können, dass sie einen Galan hat.«
Trotzdem wartete er die nächste Wolke ab, um im Schutz der Dunkelheit zu dem anderen Gebüsch zu kriechen, weil er von seinem Beobachtungsposten aus kein Wort verstehen konnte und ihm nichts daran lag, die Umarmungen der jungen Leute zu sehen, sondern wissen wollte, was sie sich zu sagen hatten. Das Manöver gelang, und er konnte alles mit anhören.
»Ich warte schon seit einer Ewigkeit auf dich«, sagte der Mann.
Zu seiner großen Verwunderung stellte Mathias fest, dass der Mann jetzt auf der anderen Ruderbank, gegenüber von Tania, Platz nahm.
Für zwei Verliebte kam ihm das sehr sonderbar vor. Hatten sie sich etwa in der kurzen Zeit gestritten, wollten sie darüber reden oder schmollten sie, während jeder darauf hoffte, der andere würde sich ihm in die Arme werfen? Doch nichts dergleichen geschah.
Mathias blieb hinter seinen Busch gekauert und sah wenig später, dass Tania ihrem Begleiter etwas in die Hand gab. Es sah ganz nach einer Börse aus, aber er war sich nicht sicher. War das vielleicht ein Junge, der verzweifelt Arbeit suchte? Einen Moment glaubte er daran, weil er sich daran erinnerte, wie er selbst als junger Mann durch den Norden geirrt war, auf der Suche nach einem Meister, der ihn einstellen wollte.
Ach, wenn er nur an den Tag dachte, an dem er allein, ohne Arbeit und nur mit etwas Kleingeld in der Tasche Alix auf der Suche nach ihrem Jacquou begegnet war. Damals hatte sie die hübsche Florine bei sich, die sich auf der Stelle in Mathias’ blaue Augen, sein offenes und herzliches Lachen und seinen wachen Geist verliebt hatte.
Er hingegen wusste sofort, dass sein Herz Alix gehörte, die
sich aber nur nach Jacquou sehnte, ihn in keiner Weise ermunterte und sich abweisend genug verhielt, dass er keinen einzigen Annäherungsversuch wagte.
Abgesehen von dieser entscheidenden Niederlage hatte er ganz offensichtlich die Chance seines Lebens vor sich. Florine war zärtlich, sanftmütig und gefühlvoll, und nachdem ihr kleiner Nicolas zur Welt gekommen war, heirateten die beiden; Jacquou lehrte ihn das Weben und wurde sein Freund.
Doch dann hatte ihnen die schwarze Pest, diese schreckliche todbringende Seuche, der in wenigen Tagen ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel, Florine, Jacquou und viele andere genommen. Und seither verließ sich Alix voll und ganz auf Mathias’ treue und zärtliche Freundschaft.
Mathias bückte sich noch tiefer. Von seinem Beobachtungsposten konnte er den Schimmel sehen, der sich nicht bewegte. Ab und zu sah er
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