Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
ihres Begleiters fuhr sie zusammen, was er aber nicht gleich bemerkte. Was hatte sie in dem Gasthaus verloren, mit einem Mann, den seine Frau allein ließ und der nichts anderes im Sinn hatte, als sie Alessandro vergessen zu machen? Und was sollte sie tun, wenn Charles sie in ein paar Minuten an sich drückte, wie es den Anschein hatte?
Sie musste an Mathias denken, der ihre Rückkehr mit banger Ungeduld erwartete. Ach, Mathias, der zu ihrer großen Beruhigung immer da war. Der vernünftige Mathias. Mathias, der sie über alles liebte. Würde sie ihn wieder betrügen – auch wenn sie ihm nie gehört hatte? Würde sie ihn wieder enttäuschen, quälen und vernichten, während er sehnsüchtig auf ihre Liebe wartete?
Sie seufzte ungehalten. Mathias war nun mal nicht ihr Mann. Sie hatte ihm nichts versprochen und auch nichts von irgendeiner anderen Art von Liebe vorgemacht, die sie vielleicht mit ihm teilen könnte. Nein, sie war Mathias nichts schuldig. Und vor allem wollte Alix nicht wieder heiraten, sondern frei und unabhängig bleiben.
Alessandro war auch nicht ihr Mann gewesen. Seine Frau lebte noch in Kalabrien, und seine Kinder im Palazzo Medici. Außerdem hatte er nie den Wunsch geäußert, mit ihr zusammenleben zu wollen.
Alessandro hatte sein eigenes Leben gelebt, mit seinem Geld, seinen Gelüsten und Phantasien. Eine Hälfte des Jahres hatte er in Brügge, die andere in Florenz verbracht. Er war in der Welt des Geldes und der Künste zu Hause gewesen und an allen europäischen Königshöfen auf der ehrgeizigen Jagd nach Erfolg.
Dieses Leben war Alix fremd geblieben. Zu welcher Treue hätte sie sich also zwingen sollen? Und gab es für sie überhaupt Treue?
Sie wich nicht zurück, als Charles begierig seinen Mund auf ihren presste, und zögerte nur kurz, weil er sie mit seiner ungestümen Art überrascht hatte. Doch da rief sie die Stimme des Wirts zur Ordnung:
»Hier kommt Euer Bier. Schön kalt und mit ’ner feinen Schaumkrone. Ist zwar nur eins, dafür aber besonders groß!«, tönte der Wirt und knallte den schweren Krug auf den Tisch. »Es wird Euch bestimmt schmecken. Ich wette, Ihr wollt bald noch eins.«
Und mit einem lauten Lachen eilte er zum nächsten Tisch. Charles nahm den Krug und hielt ihn seiner Begleiterin an den Mund.
»Trink«, flüsterte er.
Sie öffnete ihre rosigen Lippen und nahm einen Schluck von dem schäumenden Getränk.
»Köstlich«, sagte sie leise und versank in seinen Augen. Sie wusste, dass sie gleich in seinen Armen liegen würde.
Schnell leerte Charles den Krug zur Hälfte, legte seine starken Arme um Alix’ zierliche Schultern und zog sie an sich.
Wieder spürte sie seinen Mund auf ihren Lippen. Sie schloss die Augen, und sie küssten sich leidenschaftlich – den etwas bitteren Geschmack des Biers mit einem Hauch von Enzian noch auf der Zunge –, bis sie wieder vom Wirt gestört wurden.
»Oben hab ich schöne, bequeme Zimmer, mon Seigneur«, säuselte er. »Aber sie sind gleich alle weg. Wollt ich nur sagen, für den Fall …«
Für den Fall! Für welchen Fall? Nein, dieser Fall würde nicht
eintreten, da war sich Alix diesmal ganz sicher. Als Charles sie wieder in die Arme nehmen wollte, ließ sie es nicht zu und duldete überhaupt keine Berührung mehr.
»Ich möchte jetzt gehen, Charles«, bat sie leise.
»Das Zimmer war nicht meine Idee, Alix. Ich schwöre es!«, beteuerte Charles.
»Mag sein, aber ich will jetzt nach Hause.«
Enttäuscht und ein wenig spöttisch lächelnd sah er sie an.
»Das habt Ihr beim letzten Mal auch gesagt. Gestern, nach dem Bankett. Erinnert Ihr Euch?«
»Natürlich erinnere ich mich. Und ich habe es genauso ernst gemeint wie heute.«
»Wenn wir jetzt gehen – werde ich Euch wiedersehen?«
»Ich weiß es nicht, Charles. Ich weiß es wirklich nicht.«
Wie um ihre Worte Lügen zu strafen, lachte Alix verkrampft. Doch dann verzog sich ihr Mund zu einem spöttischen Lächeln.
»Was hätte ich davon, ließe ich mich von Euch verführen, Charles? Welche Gefühle würden aus unserer Vereinigung entstehen ?«
Die unverblümte Wahrheit enttäuschte ihn schwer, und er schwieg.
»Ich weiß sehr wohl, dass Ihr mich begehrt«, fuhr sie fort.
»Und wie steht es mit Euch?«
»Dazu möchte ich jetzt nichts sagen.«
»Aber vielleicht später?«
»Später! Wann soll das sein?«
Zärtlich strich er ihr übers Gesicht und versuchte sie mit anderen Mitteln zu überzeugen.
»Kommt mich in Chaumont besuchen. Ich zeige Euch
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