Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
allen, die ihn lieben – und ganz besonders zu dir. Er hat gespürt, dass es dich unglücklich gemacht hätte, wenn er deine Tochter abgelehnt hätte.«
Dann gab er dem Jungen einen sanften Schubs und sagte: »Geh jetzt und sieh nach, ob Valentine schläft. Und wenn sie aufgewacht ist, erzählst du ihr noch eine Geschichte.«
»Du sollst aber mitkommen«, bat Nicolas.
»Pass auf, mein Herz«, antwortete Alix und gab dem Kind noch einen Kuss. »Dein Vater und ich müssen jetzt zu einem Nachbarn, weil wir ihn fragen wollen, ob er uns ein Grundstück verkauft. Wenn wir zurück sind, kommen wir beide und geben dir einen Gutenachtkuss. Bis dahin sollst du bei Valentine bleiben und die Bertille holen, wenn sie etwas braucht.«
»Tania ist bei ihr.«
Ach ja, Tania! Die exotische Tania, die sie aus Genua mitgebracht hatte. Tania, die Byzantinerin. Tania, die ihrer Herrin jeden Wunsch von den Augen ablas, während ihr aufbrausender, angriffslustiger Bruder Théo mit einem von Alix’ wertvollsten Pferden durchgebrannt war. Sie hatten nichts mehr von ihm gehört.
Tania, die ein Geheimnis hütete, das Mathias allzu gern in Erfahrung gebracht hätte. Und wenn er das junge Mädchen nicht mochte, dann lag es daran, weil sie hartnäckig zu einer Frage schwieg, auf die er eine Antwort wollte.
»Was hat sie dir gesagt?«, fragte Mathias seinen Sohn.
»Sie hat gesagt, dass Valentine …« Er stockte, weil er nicht wusste, wie er seinem Vater erklären sollte, dass das kleine Mädchen wieder einen ihrer unbegreiflichen Anfälle gehabt hatte, in denen sie wie weggetreten war.
Aber Nicolas musste sich gar nicht mehr den Kopf zerbrechen, weil Bertille in dem Moment angelaufen kam.
»Wäre da nicht der Brief von der Comtesse d’Angoulême gewesen, den ich Euch sofort geben wollte, hätte ich Euch gleich berichtet, dass Valentine einen ihrer Anfälle hatte.«
»War es wieder so schlimm?«
»Tania hat sie lange gewiegt, getröstet und zu beruhigen versucht. Aber es half alles nichts, die Krämpfe der Kleinen wurden immer schlimmer. Schließlich ist Nicolas wieder aufgestanden und hat ihr zur Ablenkung etwas erzählt. Wenn sie seine Stimme hört, beruhigt sie sich meistens.«
»Ja, das stimmt«, meinte Alix an Mathias gewandt, »es ist wirklich erstaunlich, wie es deinem Sohn immer wieder gelingt, sie zu beruhigen. Eigentlich ist er der Einzige, der das kann«, seufzte sie beunruhigt, weil der Zustand ihrer Tochter sich nicht besserte.
Alix konnte sich Valentines sonderbares Verhalten nicht erklären. Ob sie unbewusst an dem Verlust ihres Geschwisterchens litt? Tania, die ihr im Kanonenhagel vor Bologna bei der Entbindung zur Seite gestanden war, hatte ihr nämlich erzählt, der andere Zwilling sei tot zur Welt gekommen. Mit dieser Auskunft wollte sich Mathias jedoch nicht zufriedengeben, und er ahnte, dass sie ihnen etwas Entscheidendes verschwieg.
Schon allein, weil Tania mit der zweiten Geburt so lange nicht herausgerückt war. Erst als Alix aus Italien zurückgekommen war und von schrecklichen Alpträumen heimgesucht wurde, bei
denen sie immer wieder nach dem »anderen Kind« fragte, hatte sie die Existenz des toten zweiten Zwillings eingeräumt, den Gott weiß wer mitgenommen und Gott weiß wo begraben hatte.
»Wir müssen sehr gut auf die Kleine aufpassen und dürfen sie auf keinen Fall allein lassen«, erklärte die Bertille und schüttelte besorgt ihren Kopf mit den krausen grauen Haaren unter der hübschen weißen Haube.
»Es will mir gar nicht gefallen, dass die Krämpfe mit der Zeit nicht besser werden«, gab Alix zu. »Ich möchte doch noch einmal nach ihr sehen, ehe wir zu Maître Dumoncelle gehen.«
Mathias folgte Alix, und gemeinsam betraten sie das Kinderzimmer. Tania saß neben dem Kind.
»Jetzt ist es endlich wieder gut. Sie schläft ganz friedlich«, sagte sie.
»Jesus Maria!« rief die Bertille und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was ist nur mit dem Kind los?«
»Es ist vorbei«, versicherte Tania, aber ihre Stimme klang nicht besonders überzeugend, »wenn sie aufwacht, wird sie sich nicht einmal mehr an ihre Alpträume erinnern.«Sie begegnete Mathias’ kaltem Blick, wurde rot und sah weg. Mathias ahnte etwas, da war sie sich mittlerweile ganz sicher. Und er mochte sie nicht, das spürte sie. Deshalb sprach sie ihn auch nie an und ging ihm nach Möglichkeit aus dem Weg.
Alix hingegen schien sich mit der Vorstellung abgefunden zu haben, dass sie Zwillinge zur Welt gebracht hatte,
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