Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Das heißt, sie müsste allein gehen, ohne ihn und ohne Nicolas. Ganz allein! Das war undenkbar, vollkommen ausgeschlossen! Sie konnte sich auf keinen Fall von dem kleinen
Nicolas trennen. Und je länger sie darüber nachdachte, umso mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass ein Leben ohne Mathias für sie ebenfalls unerträglich wäre.
»Du hast vollkommen recht. Ich glaube auch nicht, dass es eine gute Idee wäre, in Alessandros Haus zu ziehen.«
Sie sagte »Alessandros Haus«, weil Sire Van de Veere das Haus am Hauptplatz von Tours gekauft und Alix noch vor seinem Tod vermacht hatte, genau wie seine Anteile an den Kontoren in Brügge und Florenz. Die in Rom gehörten ihrem Onkel, Kardinal Jean de Villiers.
»Trotzdem brauche ich bald ein größeres Haus. Valentine und Mathias’ Sohn werden älter; außerdem fehlt mir immer mehr der Platz für ein Schreibzimmer. Ich werde einfach ein anderes Haus kaufen, dann kann ich euch das an der Place Foire-le-Roi überlassen.«
»Heißt das, du bist einverstanden, dass wir heiraten?«, rief Angela hochrot und freudestrahlend.
»Schließlich bin ich dein Vormund, Angela. Ohne meine Zustimmung darfst du nicht heiraten.«
»Aber Alix!«, rief das Mädchen in einer Mischung aus Begeisterung und Verblüffung und plusterte sich auf wie ein kleiner zorniger Gockel.
»Ich bin einverstanden, aber erst wenn du sechzehn bist.«
Angela warf sich in Julios Arme und drückte ihm einen dicken Kuss auf den Mund.
»Das dauert ja noch ein Jahr! So lange müssen wir noch warten!« , seufzte Angela.
Welch guter Stern hatte über dem Tag gestanden, an dem Jean de Villiers Julio, den Waisenjungen, der wie ein kleiner Vogel aus dem Nest gefallen und vor den Pforten des Vatikan
gelandet war, in die Obhut von Jacquou übergeben hatte! Der junge Mann war von dem Kardinal erzogen worden und hatte lange gezögert, ob er sich für das Leben eines Geistlichen oder eines Webermeisters entscheiden sollte. Als er aber am gleichen Tag wie Alix sein Meisterstück der Webergilde des Nordens vorgestellt hatte, wobei Jean de Villiers ihrer beider Fürsprecher war, und ihn Angela zum ersten Mal mit ihren blauen Augen anstrahlte, hatte er sich sofort unsterblich in sie verliebt.
»Genug jetzt, ich muss mich beeilen. Mathias erwartet mich. Wir reden heute Abend weiter.«
Kaum waren Alix und Mathias zu Hause an der Place Foire-le-Roi angekommen, als ihnen Bertille, die alte Haushälterin, entgegenlief.
»Ihr habt einen Brief bekommen! Ich glaube, er ist von Eurer Freundin, der Comtesse d’Angoulême.«
Alix nahm den Brief und warf einen prüfenden Blick auf Mathias, der sich jedoch gleichgültig gab. Auf seiner Stirn zeigten sich keine ärgerlichen Falten, in seinen blauen Augen keine Anzeichen von Nervosität. Dabei sprach Louise in jedem ihrer Briefe unweigerlich eine Einladung an den Hof aus, die Alix kaum ablehnen konnte.
Dafür gab es zwei Gründe, wie Mathias wusste, oder vielmehr drei! Der erste war die langjährige enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Außerdem konnte Alix auf diese Weise nützliche Kontakte zu den wichtigen Persönlichkeiten des Königreichs knüpfen, den großen und kleinen Würdenträgern, die allesamt leidenschaftliche Verehrer von schönen Tapisserien waren. Der dritte Grund war für Mathias am schlimmsten, ihn konnte er am wenigsten ertragen: Alix sehnte sich danach, unterwegs
zu sein, zu reisen, unabhängig zu sein, stets auf der Suche nach einem großen Erlebnis, einer neuen Begegnung, aber vielleicht auch nach einem möglichen Auftrag.
Endlich löste sie ihren Blick von Mathias, der sie schweigend musterte, öffnete den Briefumschlag und begann zu lesen:
Meine liebe Alix,
in meinem letzten Brief habe ich Euch, als Ihr gerade aus Florenz zurückgekehrt wart, von den Feierlichkeiten zu Marguerites Hochzeit berichtet. Uns erwartet ein grandioses Freudenfest, und ich möchte Euch noch einmal ganz herzlich dazu einladen. Bitte, Alix, Ihr müsst unbedingt kommen und an den Hochzeitsfeiern teilnehmen, die in zwei Tagen beginnen. Und falls Ihr wirklich nicht dabei sein könnt, kommt doch wenigstens zum anschließenden Lanzenstechen, an dessen Anschluss die Hochzeitsnacht der Jungvermählten gefeiert wird. Natürlich kann ich mir vorstellen, wie unsagbar traurig Ihr über den Tod von Alessandro Van de Veere sein müsst, der den Kanonen vor Bologna zum Opfer gefallen ist. Nichts auf der Welt kann uns die Erinnerung an das vollkommene Glück ersetzen. Doch
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