Die Blut-Loge
Sir?“, fragte er neugierig, als er noch einmal nachschenkte. „Der beste Red Curacao, den ich je getrunken habe“, lobte Stark mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
Ruben grinste und lehnte sich lässig in die weichen Polster der Lounge zurück. „Da kann ich nur zustimmen“, bemerkte er mit geschlossenen Augen. Von den Feierlichkeiten bekamen die beiden für einige Zeit nicht mehr viel mit.
In ihren Adern rann der süße, rote Honig, den ihre Vasallen aus dem Lebenssaft der Menschen gewonnen hatten.
„Ich muss sagen, Vater, deine Idee begeistert mich jetzt erst recht, nachdem ich das Zeug gekostet habe“, sagte Ruben, als er wie aus einem Traum erwachte. Gabriel hatte die Auswirkung des Cocktails längst überwunden. Mit „Red Honey“ verhielt es sich wie bei allen Drogen, einmal dabei, immer dabei. Er selbst nahm deshalb ab und zu nur eine kleine Kostprobe.
„Ja, die ersten Ergebnisse sind recht viel versprechend. Aber das Schönste kommt noch“, versprach er seinem Sohn. „In ein paar Jahren werden sie alle uns gehören!“
Ein leises, spöttisches Lachen kam aus der Richtung seines Sprösslings.
Armando Silva, deutscher Staatsbürger spanischer Herkunft, tauchte bislang noch in keiner Polizeiakte auf. Der glutäugige Latino war als schmieriger Frauenheld und leidenschaftlicher Spieler im Milieu wohl bekannt. Er gehörte nicht zur Loge, sondern war ein so genannter „Leftover“, ein gebissener, aber nicht gewandelter Mensch, der bei den alteingesessenen Logenmitgliedern den Status einer Ratte innehatte. „Leftovers“ waren nicht zum Bluttrinken gezwungen und konnten sich meist unerkannt unter den Menschen bewegen, waren größtenteils lichtscheu und labil vom Charakter her, oft auch psychopathisch oder manisch depressiv. Bei einigen zeigte sich sogar eine Art Verfolgungswahn, der nur noch stationär in einer Klinik behandelt werden konnte. Andere wurden zu Amokläufern.
Die Flucht in eine andere Form der Abhängigkeit als Blut war bei diesen „Leftovers“ an der Tagesordnung. Bei Armando, kurz Mando genannt, war es die Spielsucht. Auch er war nichts weiter als ein nützlicher Handlanger für die Loge. Man ließ ihn gewähren im Gegenzug für kleine Dienstleistungen. Mittlerweile aber hatte er sein Glück zu sehr herausgefordert. Er schuldete einigen Leuten eine Menge Geld. Heute Nacht hatten seine Spielschulden ihn in die Bredouille gebracht. Zwei Muskelmänner aus dem Silverdollar Spielsalon stellten ihm nach und drängten ihn nun in einen Hinterhof. „Hör zu, Kleiner“, drohte ihm der eine, der ihn mit seinem massigen Körper gegen die Steinmauer drückte. „Zahl deine Schulden bis Samstag oder…“
Der andere Gorilla unterbrach ihn.
„Lass ihn doch ein paar von den Honigbienen ranschaffen“, schlug er vor.
Der Erste schaute ihn vielsagend an. „Gute Idee“.
Beide wandten sich nun zu dem jungen Spanier. „Wenn du dem Boss hin und wieder eine Lady bringst, die „Red Honey“ trägt…“
Der Junge nickte eingeschüchtert. „Mach ich, Chef, mach ich doch. Geht klar!“, beeilte er sich zu sagen. Erleichterung schwang bereits in seiner Stimme mit. Die Muskelmänner ließen von ihm ab und verschwanden mit einer letzten, warnenden Handbewegung in Form einer abgefeuerten Pistole in Mandos Richtung.
Dieser konnte nicht ahnen, dass der Boss dieses Etablissements und vieler anderer ähnlicher Einrichtungen der Sohn von Gabriel Stark war. Mittelsmänner regelten als Geschäftsführer das ganze Netzwerk, dessen Hauptaktivitäten nach Einbruch der Dunkelheit stattfanden. Diese Aktivitäten hatten jedoch wenig mit den üblichen „menschlichen“ kriminellen Machenschaften zu tun. Die Wahrheit sah ganz anders aus.
Die Loge hatte nicht umsonst die Herrschaft über die Nachtclubs und das Rotlichtmilieu übernommen. Sie suchte sich dort gesundes Menschenmaterial aus, um Nachkommen zu zeugen, die von Geburt an Vampire waren und damit stärker und mächtiger als die gewandelten Geschöpfe.
Letztere galten als „zweite Wahl“. Wie in einem Bienenstaat bediente sich die Loge ihrer als Arbeiter und Dienstleister. Außerdem waren einige der Gewandelten immer noch gezwungen, vorwiegend in der Dunkelheit zu existieren. Das war ein Erbe der Vampir-Evolution, während die Mitglieder der Loge unabhängig von der Tageszeit agieren konnten. Um einen geborenen Vampir zu schaffen, musste eine Frau zwar gebissen, durfte jedoch nicht vor der Geburt gewandelt werden. Letzteres lag
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