Die blutende Statue
einen Fusel der übelsten Sorte verwandelte.
Frank G. Bayer, alias Cipollo (in Wirklichkeit hieß er Niccolo Matroni), hatte außerdem noch etwas anderes als »Haartonikum« verkauft. Da er aus Sizilien stammte, hatte er sich vor vielen Jahren unter der Führung seines Vaters, eines gleichfalls ehrenhaften Mannes, auf den Lebensmittelhandel spezialisiert. Dadurch, dass er es meisterhaft verstanden hatte, den Zollbeamten, die schlecht verdienende Familienväter waren, schnell einen Umschlag zuzuschieben, war es ihm gelungen, mit diesem klugen Schachzug die Steuern zu umgehen und durch niedrige Preise die Konkurrenten auszuschalten. Die unlauteren Praktiken hatten ihm mehrere Gefängnisstrafen eingebracht und in ihm den Wunsch geweckt, seinen Namen zu ändern. Und so wurde das Pseudonym Frank G. Bayer geschaffen. Er erfand einen Stammbaum, änderte die Herkunft, die Religion, und erfand irgendwelche Diplome der Universität Heidelberg. Ja, er schaffte es sogar, in die begehrte amerikanische Who’s Who- Liste aufgenommen zu werden.
Die großartigen Ergebnisse seiner Geschäfte, auch wenn sie manipuliert waren, zogen Bankkredite nach sich. Er galt als ein Geschäftsmann, den jede Firma gerne als Mitarbeiter gewonnen hätte, da man in ihm einen Garant für Erfolg und Umsatzsteigerung sah. Frank G. Bayer war im Übrigen so schlau, kein kompliziertes Doppelleben zu führen. Er lebte ganz bürgerlich, spielte den braven Familienvater und jeder konnte bezeugen, wie fleißig er war und wie viele Stunden er im Büro verbrachte (natürlich um die Konten zu frisieren, was ja wohl kaum erwähnt werden muss).
Zehn lange Jahre verkehrte unser Betrüger in den besten New Yorker Geschäftskreisen. Zweifellos war das der Grund, weshalb er, der an seine glänzende gesellschaftliche Stellung gewohnt war, lieber gestorben ist, als ins Gefängnis zurückzukehren. Denn das war eine Erfahrung, die er in allzu schlechter Erinnerung hatte. Es soll nebenbei auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Firma Whitehouse, nachdem sie auf die getürkten Konten aufmerksam geworden war, einige Zeit von der Börse verschwand, vorübergehend die Panik ihrer Aktionäre hinnehmen musste, sich dann aber schnell wieder erholte und das Vertrauen der Geschäftswelt zurückgewann. Andere Unternehmen bildeten, auch wenn sie Konkurrenten waren, eine Art heilige Union, um der Firma Whitehouse zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen und diese Prüfung, die ihr Ende hätte bedeuten können, zu überstehen.
Die Frau Hofrat
Edith Nagel saß an einem Tischchen im Café de l’Univers, einem der wenigen Orte in Wien, die im Frühling 1946 gut besucht waren. Als sie zwei Süßstoffpillen in ihren Lindenblütentee fallen ließ, verzog sie das Gesicht. Die Zeit, in der das Lokal für seinen Kakao und die Sahnetorten berühmt gewesen war, lag lange zurück. Das war alles vor dem Krieg gewesen, vor den Rationierungen und vor dem Tod ihres Mannes, der Hofrat am Obersten Gerichtshof gewesen war.
Mit ihren fünfundfünfzig Jahren versuchte Edith Nagel, die von Freunden immer noch »Frau Hofrat« genannt wurde, ihr Bestes, um vorteilhaft auszusehen. Da sie erst vor kurzem Witwe geworden war, kleidete sie sich in diskrete Farben, doch ihre dunkelvioletten, grauen und herbstblattfarbenen Kostüme waren sehr geschmackvoll geschnitten.
Andächtig rührte Edith Nagel mit dem Löffelchen in ihrer Teetasse. Sie besaß immer noch schöne, blaue, arglos dreinschauende Augen, obwohl sie jetzt ein wenig traurig wirkten. Auch ihre Gesichtsfarbe war noch frisch, obwohl sie es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt hatte.
Der Tod ihres Mannes hatte sie schwer getroffen. Zunächst einmal, weil sie ihn immer noch liebte, zweitens aber auch, weil sie sich ganz auf ihn verlassen hatte. Während seiner Laufbahn in der Justiz hatte er viel Geld gescheffelt, das er für sie in Schmuck, Kunstwerken und seltenen Möbeln angelegt hatte. Nach seinem Tod war Edith also gut versorgt. Sie war reich genug, um sich bis ans Ende ihrer Tage keine Sorgen machen zu müssen. Nur hatte sie nie gelernt, mit Geld umzugehen. Bisher hatte sie sich immer auf ihren großzügigen Mann verlassen, der sich um alles gekümmert hatte. Doch da geschah etwas Unerwartetes. Die Wiener Gemeinde zwang Edith Nagel, die allein in einer großen Wohnung in der Innenstadt wohnte, Ende 1945 im Rahmen der Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge und Obdachlose einen Untermieter zu nehmen.
Einige Tage später stand eine Frau
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