Die blutende Statue
beim Kaffee.
Doch dieses Mal, vor dem letzten Brief von Klaus sitzend, überlegte Edith lange. Sie war völlig aufgewühlt, und zwar mit Grund. Das Schreiben war in Nizza aufgegeben worden. Klaus Vogler hatte eine Erbschaft gemacht, eine herrliche Villa am Meer. Um die antreten zu können, musste er nur noch die Erbschaftssteuer bezahlen. Nur der Information halber erwähnte er die Summe. Doch vor allem schrieb er, dass das Haus für ihn allein viel zu groß sei. Darum bat er seine liebe Wohltäterin, doch zu ihm zu ziehen. Selbstverständlich nur ganz in Ehren. Wenn sie einverstanden sei, sollte sie nur ihr ganzes Hab und Gut verkaufen und zu ihm ziehen.
Tagelang überlegte Edith Nagel. Auch diesmal war es wieder ihre Untermieterin, Marguerite Hafner, die sie überredete. Das Leben ist ja so kurz. Warum sollte sie ihren Lebensabend nicht im wundervollen Klima der Côte d’Azur verbringen? Viele Leute in ihrem Alter zogen dorthin, sobald sie in Rente gingen. Außerdem wäre sie dann immer in der Nähe von Klaus. Da durfte man nicht zögern. Edith hatte sowieso keine Erben und sie, Marguerite, würde für ihre Habseligkeiten schon den besten Preis erzielen.
Da gab Edith Nagel nach und verfiel in einen regelrechten Rausch. In ihrem Antwortschreiben an Klaus, dem sie die Summe der Erbschaftssteuer beilegte, verkündete sie, dass sie alles verkaufen und zu ihm ziehen wolle.
Auf einem Bahnsteig des Wiener Westbahnhofs wartete am 18. Juli 1953 eine vornehme Dame allein auf den Zug nach Nizza. Nervös trippelte sie hin und her. Ein letztes Mal fragte sie sich, ob es wohl wirklich vernünftig sei, mit zweiundsechzig Jahren ein solches Abenteuer zu wagen. Aber jetzt war es sowieso zu spät. Sie hatte den Schritt gewagt und konnte nicht mehr zurück. Gleich würde ihr Marguerite das Gepäck, die Fahrkarten und einen Aktenkoffer mit ihrem Vermögen bringen. Die gute Marguerite hatte sich bis zum Schluss um alles gekümmert. Zum Teil hatte Edith ihr neues Leben Marguerite zu verdanken!
Aber die Minuten verstrichen und Marguerite tauchte nicht auf. Der Schaffner stieß in die Trillerpfeife. »Das ist unmöglich«, dachte Edith. Aber leider war es sehr wohl möglich. Der Zug nach Nizza fuhr langsam an und mit ihm verschwanden all ihre Hoffnungen und Träume.
Schließlich stand die Frau Hofrat allein und verloren auf dem Bahnsteig. Sie begann zu weinen. Ein Bahnangestellter trat auf sie zu und klopfte ihr linkisch auf die Schulter.
»Was ist denn, Gnädigste? Ist was nicht in Ordnung?«
Auf dem Kommissariat erzählte Edith Nagel alles. Ihr Bericht war konfus, von Weinkrämpfen unterbrochen, doch der Kommissar war rasch im Bilde. Eine Dame in gehobenem Alter war dem Charme eines skrupellosen Abenteurers erlegen und die Gesellschaftsdame, die treue Marguerite, steckte mit ihm wahrscheinlich unter einer Decke.
Zunächst musste man diesen Klaus Vogler finden. Nach seinen Briefen zu schließen — die waren das einzige, was Edith bei sich getragen hatte — , reiste er viel in Europa herum. Darum informierte die Wiener Polizei ihre Kollegen in Nizza.
Allerdings fand die Polizei Klaus Vogler eine Woche später in Österreich wieder, genauer gesagt in Salzburg, wo er schon seit mehreren Jahren wohnte und anscheinend nicht einmal versuchte, sich zu verstecken. Auf der Stelle schaffte man ihn nach Wien vor den mit der Untersuchung betrauten Kommissar.
Im Büro protestierte Klaus Vogler empört. Doch der Kommissar schnitt ihm barsch das Wort ab. »Badgastein und die Lungenentzündung, sagt Ihnen das nichts? Wahrscheinlich nicht mehr als die in Italien gestohlenen Koffer. Und was ist mit der Erbschaftssteuer Ihres angeblichen Hauses in Nizza, davon wissen Sie wohl auch nichts? So lange ist das doch gar nicht her.«
Klaus Vogler wurde immer wütender.
»Was soll das heißen? Ich war noch nie in Badgastein und schon gar nicht in Italien oder Nizza. In meinem ganzen Leben hab ich Österreich noch nie verlassen. Seit 1946 arbeite ich als Verkaufsleiter eines großen Warenhauses in Salzburg.«
Der Kommissar schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und der Name Edith Nagel sagt Ihnen wohl auch nichts? Haben Sie die etwa nie gesehen und ihr nie geschrieben?«
Einen Moment lang herrschte Stille. Der Mann versuchte sich offenbar zu erinnern.
»Edith Nagel, sagen Sie? Nein, wirklich, keine Ahnung.«
»Die haben Sie 1946 im Café de l’Univers kennengelernt. Sie hat Sie auch einmal zum Kaffee eingeladen.« Zum ersten Mal leuchtete
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