Die blutende Statue
zu sein oder es werden zu wollen. Vielleicht stimmte das ja? Es konnte nichts schaden, das zu überprüfen.
Und es funktionierte! Im Berufsverzeichnis der Modehäuser fand sich tatsächlich eine schlanke, atemberaubende Blondine. Kein Zweifel, das war Caroline Ligier. Darüber hinaus war das sogar ihr richtiger Name.
Auch die angegebene Adresse stimmte, darum stand Inspektor Joël Rolland schon wenige Stunden später vor dem Mädchen. Sie hatte ihm selbst die Tür geöffnet. Der ganze Fall war ja noch einfacher als erwartet. Caroline Ligier entsprach ganz ihrem Foto, nur dass sie in natura noch besser aussah. Als er seinen Ausweis zückte, zeigte sie sich rührend überrascht.
»Die Polizei? Mein Gott, warum das denn?«
Inspektor Rolland hätte ja lieber Süßholz geraspelt, aber manchmal stellt der Dienst grausame Ansprüche. Darum erklärte er mit fester Stimme: »Fort-de-France, sagt Ihnen das etwas?«
Jetzt antwortete Caroline streitlustig: »Na und? Ich war doch im Recht. Niemand kann mich zwingen, jemanden gegen meinen Willen zu heiraten. Sie können mir nichts vorwerfen.«
Trotz des entzückenden Schmollmundes der jungen Frau wurde Inspektor Rolland langsam wütend. Aus der Manteltasche zückte er einen Stapel von fünfzig Fotos und legte ihn vor ihr auf den Tisch.
»Und die? Kennen Sie die etwa nicht? Und Ihren Komplizen Benjamin Lefrançois haben Sie wohl auch nie gesehen?«
Auf dem Gesicht des Mannequins malte sich völlige Verständnislosigkeit in allen Abstufungen.
»Was sollen die Fotos? Natürlich kenne ich Benjamin. Aber der ist kein Komplize, ganz im Gegenteil.« Langsam wurde es schwierig, noch mitzukommen. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, setzte sich Inspektor Rolland auf ein weiches Sofa. Dabei vermied er es, an etwas anderes zu denken als an die beruflichen Gründe, die ihn hergeführt hatten.
»Darf ich Sie bitten, das zu erklären, Mademoiselle?«
Das hübsche Mannequin tat dies mit einer unwillkürlich sinnlichen Stimme.
»Vor einem Jahr hab ich in einer Lokalzeitung auf Martinique eine Heiratsanzeige aufgegeben. Das ist schließlich nicht verboten, oder?«
»Mit welchem Ziel?«
»Mit dem Ziel zu heiraten natürlich! Ich bekam mehrere Antworten. Aus denen hab ich mir Benjamin Lefrançois ausgesucht, einen jungen Mann, der nicht gerade reich war, der aber einen netten Eindruck machte. Eine ganze Weile lang haben wir uns geschrieben. Er hat sich in mich verliebt. Und er wollte mich heiraten. Also...«
Caroline Ligier zog ein verlegenes Gesicht, das wirklich niedlich aussah.
»Also hab ich beschlossen hinzufahren. Nur hatte ich dafür nicht genug Geld. Er hat mir selbst angeboten, die Reise zu bezahlen.«
Langsam begriff Inspektor Rolland.
»Und einmal an Ort und Stelle?«
»Nun, er hat mir überhaupt nicht gefallen. Wir haben uns nur ein einziges Mal gesehen und ich hab ihm gesagt, dass ich es dabei belassen möchte.«
»Sie sind aber trotzdem geblieben.«
»Natürlich. Zwei Wochen. Ich mach doch nicht so eine weite Reise, um gleich am nächsten Tag zurückzufahren.«
»Auf die Weise haben Sie gratis Urlaub gemacht.« Caroline Ligier wollte energisch protestieren, was dem Inspektor Gelegenheit gab festzustellen, dass die Wut ihr ebenso gut stand wie alles andere. Sofort hob er beschwichtigend die Hand.
»Immer mit der Ruhe, deswegen habe ich Ihnen nichts vorzuwerfen. Erzählen Sie mir lieber, wie es weiterging.«
»Weiterging? Was meinen Sie damit?«
»Die fünfzig Fotos von Ihnen, die fünfzig mal fünfhundert Franc, dieser Haufen junger Männer, der Sie in Le Havre vom Schiff abholen wollte.«
Caroline fasste sich an den Kopf. Sie wirkte aufrichtig verwirrt.
»Ich schwöre Ihnen, dass ich kein Wort davon begreife.«
»Warum stand Ihr Name auf dem Briefkasten in der Avenue de la République 23?«
In den blauen Augen des Mannequins las man nur Ratlosigkeit.
»Avenue de la République 23, das war die Adresse von Benjamin Lefrançois. Dort hab ich nie gewohnt, und zwar mit Grund!«
»Hatte Benjamin Lefrançois Ihr Foto?«
»Natürlich. Das hab ich ihm mit dem ersten Brief geschickt.«
Mit Bedauern verabschiedete sich der Inspektor von seiner bezaubernden Gastgeberin, nachdem er ihr noch ein paar Worte des Trostes gespendet hatte. Er war sich nahezu sicher, dass sie die Wahrheit sagte, und er hatte auch begriffen, wie der gelinde gesagt ungewöhnliche Schwindel vonstatten gegangen war.
Alles hatte damit begonnen, dass Benjamin Lefrançois, ein junger Mann aus
Weitere Kostenlose Bücher