Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
Vom Netzwerk:
seinem Ende, als die Kunde von den „Hirten Gottes“ nach Bourges drang. Diese kamen ursprünglich aus Flandern und waren dann weiter durch die Picardie gezogen. Ihre Anführer behaupteten, Gesichte von Engeln und Erscheinungen der Seligen Jungfrau Maria gehabt zu haben, die ihnen befohlen habe, das Kreuz zu nehmen und mit den Auserwählten Gottes, den Hirten und dem einfachen Volk ein Heer zu bilden, um das Heilige Land zu retten und dem König von Frankreich zu Hilfe zu eilen. Um diese Behauptungen zu bekräftigen, stellten sie den Inhalt ihrer Visionen auf leuchtenden Bannern dar, die sie vor sich hertrugen, und lösten damit wahre Begeisterungsstürme beim Volk aus.
    Überall wo sie hinkamen, schlossen sich den „Auserwählten“, wie sie sich selbst nannten, immer mehr Menschen an und zogen gemeinsam mit ihnen weiter. Als sie schließlich Frankreich erreichten, waren sie bereits so viele, dass sie in geschlossenen Hunderter- und Tausenderhaufen wie ein Heer marschierten. Und auch hier schlossen sich ihnen auf ihrem Marsch durch das Land die Schäfer an und ließen, von heiligem Eifer erfüllt, ihre Herden im Stich.
    Und so zogen die „Hirten Gottes“, angeführt vom Meister aus Ungarn, einem Greis mit charismatischer Ausstrahlung, mit Dolchen und Hacken bewaffnet durch Dörfer und Städte und verbreiteten unter den Einwohnern einen solchen Schrecken, dass keine Gerichtsbarkeit im Land es mehr wagte, sich ihnen entgegenzusetzen.
    Zum Entsetzen des Klerus ließ auch die Königinmutter Blanca sie gewähren, denn sie hoffte darauf, dass diese Leute ihrem Sohn Ludwig zu Hilfe eilen und ihm dabei helfen würden, das Gelobte Land zu erobern.
    Allein der Klerus erhob seine Stimme gegen die Hirten und erregte damit solchen Hass bei ihnen, dass allerortens viele Geistliche getötet wurden.
    Nachdem die Hirten unbehelligt durch Paris gezogen waren, waren sie so sehr von sich und ihrem Auftrag überzeugt, dass sie ohne jedes schlechte Gewissen zu stehlen und zu plündern begannen, wo auch immer sich ihnen die Gelegenheit dazu bot.
    Die Kunde von dem Überfall auf Orleans, bei dem die Hirten die Stadt verwüstet und viele Kleriker der Universität getötet hatten, löste Angst und Abscheu bei den Bürgern von Bourges aus.
    Begleitet von den einflussreichsten Bürgern, darunter auch Jean Machaut, marschierte der Stadtrat in großer Sorge vor dem Bischofspalast auf und verlangte eine sofortige Audienz.
    Radulfus blieb nichts anderes übrig, als sie zu empfangen. Seine Abneigung gegenüber dem Stadtrat beruhte auf Gegenseitigkeit, doch jetzt galt es, gegen einen gemeinsamen und gefährlichen Feind vorzugehen.
    Als alle an der Tafel saßen, ergriff der Bürgermeister das Wort: „Wenn uns nicht bald etwas einfällt, wird es uns nicht besser ergehen als den Bürgern von Orleans, zumal wir nicht genügend Bewaffnete haben, um die Stadt zu verteidigen. Und auf die Hilfe des Volkes können wir nicht zählen. Das wird sich genauso von dieser Irrlehre blenden lassen wie das Volk in den anderen Städten auch.“
    Radulfus beteiligte sich nicht an der Debatte. Er war mit seinen Gedanken bereits wieder bei Marie. Seine Gier nach ihr, die sowohl körperlicher wie auch geistiger Natur war und jeweils auf Erlösung hoffte, wuchs von Tag zu Tag und ließ sich immer weniger unter Kontrolle bringen.
    Verschiedene Vorschläge wurden gemacht und wieder verworfen. Die Diskussionen wurden immer hitziger und die Angst vor den bevorstehenden Übergriffen greifbarer.
    „Was ist los mit Euch? Hat die Angst Eure Zunge so weit gelähmt, dass Ihr nicht einmal meine Frage beantworten könnt?“, fragte der Bürgermeister den Bischof respektlos.
    Endlich erwachte Radulfus aus seiner Erstarrung und bemerkte, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren.
    „Ich möchte von Euch wissen, was die Kirche zu unternehmen gedenkt. Immerhin sind viele Eurer Schafe in Gefahr“, der Tonfall des Bürgermeisers klang ironisch.
    „Gott wird sie von ihrem Irrglauben befreien und zu uns zurückführen“, erwiderte der Bischof ohne große Überzeugung.
    „Und unsere Stadt genauso wie der Bischofspalast wird in Schutt und Asche liegen.“
    Radulfus wurde wütend.
    „Wollt Ihr etwa der Kirche die Schuld an diesem Unheil geben? Seht Euch doch an in Euren prächtigen Gewändern und voll gefressenen Wänsten. Kein Wunder, dass das Volk die Nase von Euch voll hat“, schlug er zurück.
    Der Bürgermeister lief rot an.
    „Eure Gewänder sind nicht weniger prächtig“,

Weitere Kostenlose Bücher