Die Bluterbin (German Edition)
ersten grünen Knospen, begleitet vom lauten Gezwitscher der Vögel, den Frühling ankündigten.
Das Leben verlagerte sich wieder mehr ins Freie, und die erneut erwachende Natur verströmte verschwenderisch ihre Düfte, die bei Mensch und Tier neue Lebensgeister weckten.
Marie blieb jedoch nur wenig Zeit, um die laue Luft und das zart sprießende Grün zu genießen, da sie rund um die Uhr beschäftigt war. Immer mehr Menschen kamen, um von ihr geheilt zu werden oder sich Rat und Trost bei ihr zu holen.
Sie alle waren von Maries stiller Bescheidenheit und der unerwarteten warmen Anteilnahme überrascht, die sie jedem entgegenbrachte, der sich an sie wandte.
Gilles kümmerte sich rührend um ihr Wohlergehen, und wo immer sie sich befand, folgten ihr bewundernde und ehrfurchtsvolle Blicke. Marie nahm sie jedoch ebenso wenig zur Kenntnis wie die Tatsache, dass die Menschen auf der Burg damit begonnen hatten, sie fast wie eine Heilige zu verehren.
Sie fieberte stattdessen den wenigen Momenten entgegen, die sie mit Robert allein verbringen konnte, die aber immer weniger wurden, denn mit jedem Tag, der verging, rückte ihre Trennung unweigerlich näher.
Robert seinerseits war hin- und hergerissen. Einerseits wollte er Marie unter keinen Umständen verlassen, andererseits barg sein bevorstehender Aufbruch aber auch eine große Chance. Wenn es ihm gelang, seinen Vater dazu zu bringen, die Verlobung mit seiner Braut Philippa zu lösen, würde er einen Weg finden, um Maries Freiheit zu erwirken und sie zu heiraten.
Enguerrand hatte tatsächlich Wort gehalten und nur wenige Tage nach dem Gespräch mit Marie eine Nachricht mit der Lösegeldforderung an Roberts Vater gesandt. Allerdings hatte er Hundert Pfund Silber verlangt, eine Summe, die auch von einem Grafen nicht so ohne Weiteres aufzubringen war.
Doch dann war es so weit, und Albrecht, der Notar des Grafen Guido de Forez, traf mit dem vereinbarten Lösegeld und einem Pferd für Robert auf der Burg von Coucy ein. In seiner Begleitung befanden sich vier bis an die Zähne bewaffnete Ritter, die der Graf ihm zum Schutz seines Sohnes mitgegeben hatte.
Als Robert voller Aufregung und in stolzer, selbstbewusster Haltung die Burgküche betrat, wusste Marie, dass der Zeitpunkt des Abschieds gekommen war.
Gilles nickte ihr zu, und Marie folgte Robert nach draußen, wo er sie ein letztes Mal in seine Arme zog und ihr Gesicht immer wieder mit Küssen bedeckte, während Marie ganz stillhielt, sich ganz seinen Berührungen hingab und den natürlichen Duft seines Körpers tief in sich aufnahm.
Nach einer Weile ließ Robert sie schließlich widerstrebend los und sah ihr tief in die glänzenden Augen.
„Ich werde zurückkommen und Euch holen“, schwor er ihr. Dann schwang er sich auf sein Pferd und hob, bevor er durch das Tor ritt, noch ein letztes Mal grüßend seine Hand.
Marie ging schweren Herzens in die Küche zurück. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so elend und so zerrissen gefühlt. Es war, als ob Robert für immer einen Teil von ihr mit sich fortgenommen hätte. Dennoch war sie sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Außerdem hatte Robert einen winzigen Hoffnungsschimmer in ihr Herz gepflanzt. Er hatte ihr versprochen, zurückzukommen, und allein diese Möglichkeit, an der sie sich festhielt, ließ sie den nächsten, den übernächsten und auch alle darauf folgenden Tage überstehen.
Robert und seine Begleiter ritten auf dem schnellsten Wege in die Grafschaft Forez. Plötzlich konnte er es kaum noch erwarten, seinen Vater und seine Mutter nach so langer Zeit wiederzusehen.
Als sie Vezelay erreichten, überlegte er kurz, ob er den Umweg über Bourges nehmen sollte, um dort seinen Freund Bernard zu besuchen, entschied sich dann aber dagegen. Zuallererst musste er mit seinem Vater sprechen und ihn bitten, die Verlobung zu lösen, danach wäre immer noch genug Zeit, um Bernard zu besuchen.
Es war schon später Nachmittag, als die elterliche Burg schließlich vor ihnen auftauchte.
Sie war kleiner, als er sie in Erinnerung hatte. Ob ihm das so vorkam, weil er sich mittlerweile an die gewaltigen Dimensionen der Burg von Coucy gewöhnt hatte? Oder lag es daran, dass er erst acht Jahre alt gewesen war, als sein Vater ihn nach Bourges in die Kathedralschule gebracht hatte?
Ein wenig wehmütig betrachtete er die Burg, während er ohne große Eile näherritt. Die kleine, kompakte Wehranlage war auf einem Hügel errichtet worden, dessen nach hinten
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